In der Diskussion über eine Lösung der festgefahrenen ethnischen Konflikte am Westbalkan zeigt sich Serbien offen für einvernehmliche Grenzveränderungen. "Wenn alle Seiten eine Einigung darüber erzielen: Warum sollte das ein Problem sein?", sagte der serbische Parlamentspräsident Ivica Dacic in einem gemeinsamen APA-Interview mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) in Wien. Dieser betonte, dass Serbien der "Schlüssel für die EU-Integration des Westbalkans" sei.
Die Diskussion über neue Grenzen am Balkan hatte jüngst durch ein der slowenischen Regierung zugeschriebenes "Non Paper" neue Nahrung erhalten, in dem unter anderem über eine Teilung des Kosovo sowie die Angliederung der bosnischen Serbenrepublik an Serbien nachgedacht wird, um der stockenden EU-Annäherung der Region neuen Schub zu geben. Slowenien übernimmt im Juli für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft.
Dadic kritisiert "Non-Paper"
Das "Non Paper" hatte zu heftigen negativen Reaktionen insbesondere in Bosnien-Herzegowina geführt, auch Österreich bekannte sich klar zur territorialen Integrität des Balkanstaates. Dacic zeigte sich kritisch zu dem Papier. "Es gibt keine Notwendigkeit, dass es irgendwelche mysteriösen Non Papers gibt", forderte Dacic, "dass wir alle unsere Meinungen und Erwartungen öffentlich kund tun, denn alle in Europa kennen sehr wohl unsere Position".
Dacic und Sobotka legten im APA-Interview ein Bekenntnis zum Erhalt Bosnien-Herzegowinas ab, zeigten sich aber zugleich besorgt über die Spannungen zwischen Serben, Kroaten und Bosniaken. "Wenn es Kroaten, Serben und Moslems nicht geschafft haben, in Jugoslawien zusammenzuleben, wie ist dann die Perspektive des gemeinsamen Lebens in Bosnien-Herzegowina, das eigentlich ein kleines Jugoslawien ist?", fragte der serbische Parlamentspräsident rhetorisch. Er warb um Verständnis für die bosnischen Serben, deren separatistische Bestrebungen international äußerst kritisch gesehen werden. Sie seien gegen ein zentralistisches Bosnien-Herzegowina, weil sie dann in der Minderheit wären. "Die Serben sehen, dass hier vielleicht eine Dominanz der Bosniaken geschaffen wird und sie dann im Herzen Europas in einem moslemischen Staat leben sollen", sagte der frühere Außenminister und Premier.
Serbien stehe zum Dayton-Friedensvertrag für Bosnien-Herzegowina und sehe weiterhin "keine bessere Lösung", sagte Dacic. Man sei für den Erhalt des Balkanstaates, "außer die Völker Bosnien-Herzegowinas entscheiden sich anders". Diese Entscheidung müsse dann aber "einvernehmlich" getroffen werden, betonte er.
Freiheit lassen, Strukturen selbst zu regeln
Sobotka betonte, dass Gebietsveränderungen "zusätzliche Probleme aufwerfen" könnten. "Aber wenn das von allen Seiten akzeptiert wird, dann kann auch Österreich damit leben", sagte er. Entscheidend sei, dass man den Partnern die Freiheit lasse, ihre Strukturen selbst zu regeln. Bezüglich Bosnien-Herzegowinas sei er "nicht so optimistisch", beklagte Sobotka das "Auseinanderleben" der Volksgruppen. Dort sei auch der Konflikt noch "spürbar" und es brauche Zeit zum Heilen der Wunden, so der ÖVP-Politiker, der diesbezüglich daran erinnerte, wie lange Österreich für die Bewältigung seiner Geschichte gebraucht hatte. Zuversichtlicher ist der Nationalratspräsident, was eine Verständigung zwischen Belgrad und Pristina betrifft.
Nicht festlegen wollten sich die beiden Parlamentspräsidenten in der Frage, auf welche Weise die Kosovo-Frage bis zum EU-Beitritt Serbiens gelöst werden müsse. Sobotka pochte auf "Dialogbereitschaft" und dass "es dann auch zu einer Lösung kommen muss". Angesichts der Tatsache, dass fünf EU-Staaten den Kosovo bisher nicht anerkannt haben, brauche es "einen Sonderstatus, eine Sonderregelung", fügte er hinzu. Europa stehe weder auf der Seite Belgrads noch auf jener Pristinas, "sondern auf der Seite des guten Dialogs, und das ist bei Kollegen Dacic in guten Händen", so Sobotka.
Kompromiss als Lösung
Dacic warf der kosovarischen Seite "Obstruktion" und mangelnde Vertragstreue vor. Zugleich brachte er wenig verhüllt eine mögliche Teilung der früheren südserbischen Provinz ins Spiel. Schließlich habe Serbien "nicht die volle Souveränität über den Kosovo", die Regierung in Pristina aber auch nicht "volle Souveränität über alle Teile des Kosovo". Die serbischen Gebiete des Kosovo würden nämlich den Staat nicht anerkennen. "Die Lösung kann nur ein Kompromiss sein, nicht irgendein neuer Krieg", sagte Dacic.
Beide Politiker hoben die Bedeutung der europäischen Integration für die Lösung der Konflikte in der Region hervor. "Unter dem Dach der Europäischen Union ist das leichter zu bewältigen", sagte Sobotka. Dacic bezeichnete die Europäische Union gar als "Beruhigungsmittel" für die Region. Früher seien die Völker am Westbalkan "durch die Idee des Jugoslawentums oder kommunistische Idole" zusammengehalten worden. An deren Stelle kann nur "die Ideologie der Gemeinschaft in der Europäischen Union treten", betonte Dacic.
Stefan Vospernik/APA