Nur mit Mühe ist es am gestrigen Samstag den Teilnehmern am G7-Gipfel in Cornwall gelungen, ihrem Anspruch auf Einheit und globales Zusammenspiel nachzukommen. Die bittere Krise im britisch-europäischen Verhältnis überschattete die Konferenz.
Während Gastgeber Boris Johnson, US-Präsident Joe Biden und die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen der westlichen Welt feierlich versicherten, sie wollten die ärmsten Länder der Erde mit Covid-Impfstoff versorgen, die Weltwirtschaft neu ankurbeln, und als Antwort auf Chinas „Neue Seidenstraße“ einen globalen Infrastrukturplan zur Unterstützung ärmerer Länder beschlossen, beeinträchtigte der Konflikt zwischen Großbritannien und der EU schwer die zur Schau gestellte Harmonie.
Ngozi Okonjo-Iweala, die Generalsekretärin der Welthandels-Organisation (WTO), sprach am Samstag sogar die Befürchtung aus, dass es schon bald „zu einem Handelskrieg“ zwischen Grossbritannien und der EU kommen könne. „Das wäre das Letzte, was wir brauchen“, sagte sie.
Beim Streit geht es für die EU um die Frage, ob sich London an die Bestimmungen des sogenannten Nordirland-Protokolls hält, das Premier Johnson im Dezember im Zusammenhang mit seinem „harten Brexit“ unterzeichnet hat. Das Protokoll sieht Kontrollen beim Warentransport von England, Schottland und Wales nach Nordirland vor, um die Grenze in Irland selbst offen halten zu können.
Johnson hat signalisiert, dass er die Vereinbarung gegebenenfalls ignorieren wolle. Er würde, sagte er auf dem Gipfel in Carbis Bay, „nicht zögern, einseitige Maßnahmen zu ergreifen“, also zu handeln ohne Absprache mit der EU. Brüssel sei „einfach zu dogmatisch“ und „zu halsstarrig“ bei der Umsetzung des Protokolls, fügte sein Aussenminister Dominic Raab hinzu.
Macron macht seinem Ärger Luft
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron konterte, Premierminister Johnson könne nicht im Dezember einen Vertrag unterzeichnen, den er ein halbes Jahr später schon wieder für nichtig erkläre. Die Briten müssten endlich einmal „zu ihrem Wort stehen“, fand Macron am Samstag frustriert.
Auch Deutschlands Angela Merkel, Italiens Mario Draghi und die beiden EU-Top-Repräsentanten Charles Michel und Ursula von der Leyen drängten Johnson gestern in separaten Gesprächen zu einem Einlenken in der Nordirland-Frage. Beim Gipfel hatten sich die fünf Politiker vom Kontinent mehrfach als einträchtig beisammen sitzende Gruppe, als kleine Fraktion im grösseren Gipfel-Forum, präsentiert.
US-Präsident Biden hatte schon vor Beginn des Gipfels deutlich gemacht, dass er „zutiefst besorgt“ sei wegen der Konsequenzen des Brexit für den Frieden in Nordirland. Genau diesen Frieden gefährde die EU mit ihrem „rigiden Purismus“, konterte die britische Seite. Regierungschef Johnson bestand darauf, dass es keinerlei Missstimmung in den britisch-amerikanischen Beziehungen wegen Nordirland gab.
Westliche Konkurrenz für die neue Seidenstraße
Biden, der sich in diesem Punkt beim Gipfel selbst diplomatisch zurückhielt, suchte gestern erneut die Gemeinsamkeit aller Beteiligten in den großen Fragen aktueller Politik heraus zu streichen und sie auf eine härtere Linie gegenüber China einzuschwören.
Auf seine Initiative hin wollen die G7 als demokratisches Gegenstück zu Pekings Seidenstraßen-Handelsprojekt ärmeren Ländern dabei "werteorientierte, hochwertige und transparente"
Partnerschaften anzubieten. Unter anderem sprach sich der US-Präsident für den vorübergehenden Einsatz riesiger Summen zur Wiederankurbelung der von der Pandemie schwer getroffenen Weltwirtschaft aus.
Impfspenden für arme Länder
In einer „Deklaration von Carbis Bay“ gelobten die Anwesenden einander künftige Kooperation zur Verhinderung weiterer Pandemien. Konsens bestand auch darin, dass die reichsten Staaten den ärmsten mit mehr als 1 Milliarde Dosen Anti-Covid-Impfstoff unter die Arme greifen sollten. Internationale Experten und Sprecher afrikanischer Verbände erklärten allerdings, dass mindestens das Zehnfache benötigt würde – und das sehr viel schneller, als es versprochen worden sei.
Kritiker stellten auch den Anspruch der G7, beim Kampf gegen den globalen Klimawandel vorneweg zu marschieren, infrage. Zahlreiche grüne Gruppen zogen gestern zum Protest gegen „die lasche Haltung vieler Regierungen“ in Cornwall auf. Mit Surfbrettern, Kajaks, Alarmtröten, witzigen Sprüchen und aufgeblasenen Walen suchten sich die Demonstranten an den Küsten der Grafschaft Gehör zu verschaffen. Tausende marschierten unterm Banner der Organisation „Extinction Rebellion“ durch das Städtchen Falmouth, oft bunt kostümiert.
Der britische Kronprinz Charles, der sich immer schon stark für die „Rettung des Planeten“ engagiert hat, suchte derweil am Rande des Gipfels bei Gesprächen Geschäftsleute für mehr Engagement und Investitionen zu gewinnen. Und Königin Elizabeth II. trat in Erscheinung als Gastgeberin eines G7-Dinners unter den Glaskuppeln des „Eden Project“, eines mit Regenwäldern und Artenvielfalt bestückten Botanischen Gartens in Cornwall. Auch ihr Enkel William und dessen Frau Catherine, der Herzog und die Herzogin von Cambridge, reihten sich willig in die „Charme-Offensive“ der Royals ein.
unserem Korrespondenten Peter Nonnenmacher aus London