Gut Ding braucht Weile: Falls sich das Sprichwort auch auf die heiklen Beziehungen zwischen Staatenlenkern anwenden lässt, müsste der Gipfel in Genf ein Erfolg werden. Am 13. April hatte US-Präsident Joe Biden seinem russischen Gegenüber vorgeschlagen, sich zu Gesprächen in einem Drittstaat zu treffen. Nach mehrwöchigem Abwägen in Moskau hat Wladimir Putin schließlich zugestimmt. Am Mittwoch werden die beiden in Genf zusammentreffen.

Genf ist nicht Wien, das auch gern zum Zug gekommen wäre. Dennoch ist der Gipfelort gut gewählt: In Genf gingen 1985 US-Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow auf einander zu. Der Gipfel brachte einen Wendepunkt im Kalten Krieg. Zum ersten Mal gaben die USA und die Sowjetunion einander die Zusicherung, keine militärische Vorherrschaft anzustreben.

Ganz so hoch sollte man diesmal die Erwartungen nicht hängen. Die Liste der Konfliktfelder zwischen Russland und den USA ist derzeit lang; die Beziehungen sind auf einem Tiefpunkt. Und Putin ist kein Gorbatschow. Wohl nicht zufällig hat die russische Justiz genau zu Beginn von Bidens Europa-Reise die Organisationen des Kremlkritikers Alexej Nawalny endgültig verboten; dies impliziert, dass bei den Wahlen im Herbst keine Kreml-Kritiker antreten können. Das Signal: Gipfel hin oder her – Putin will sich vom Westen nicht dreinreden lassen. Biden hatte das Vorgehen gegen Nawalny und die Opposition scharf kritisiert. In einem Interview nach dem Giftanschlag auf Nawalny hatte Biden die Frage, ob er Putin für einen „Killer“ halte, bejaht.

Freundlichkeiten hatten die beiden Herren bisher also keine füreinander über. Dazu kommen gewaltige Probleme: die Spannungen an der Grenze zur Ukraine, russische Cyberangriffe und Wahleinmischung, neue Sanktionen belasten derzeit das Verhältnis zwischen den USA und Russland. Moskau weist die Vorwürfe zurück. Hinzu kam kürzlich die beispiellose Verhaftung des weißrussischen Bloggers Roman Protassewitsch durch Putins Verbündeten, den Minsker Machthaber Alexander Lukaschenko, der eine irische Passagiermaschine zwang, in Minsk zu landen, um den Oppositionellen zu verhaften. Dass Lukaschenko dies ohne Absprache mit Moskau durchzog, halten viele Beobachter für unwahrscheinlich.

Dennoch ist der Gipfel gerade wegen der starken Spannungen wichtig. Dass Biden Putin am Höhepunkt des russischen Truppenaufmarsches vor der ukrainischen Grenze im April ein Treffen vorschlug, hat die Situation entspannt. „Putin trifft Entscheidungen in einem höchst personalisierten Stil,“ erklärte ein Sprecher des US-Präsidenten. Daher sei es wichtig für Biden, dem Kreml-Chef in die Augen zu schauen und zu sagen, was die USA erwarten. Das sei auch der effektivste Weg, zu verstehen, was Russland plane und beabsichtige. Putin selbst erklärte, er strebe beim Gipfel eine Verbesserung der Beziehungen an. Er wolle internationale Konflikte sowie den Kampf gegen Terrorismus und gegen die Corona-Pandemie besprechen. Einen Durchbruch, sagte der Kreml-Chef, erwarte er nicht.