Nur notdürftig bemäntelt das Regime die heutige Bestätigung des Staatschefs als demokratische Präsidentenahl:Baschar al-Assads Gegenkandidaten – ein früheres Mitglied seiner Regierung und ein von der Regierung geduldeter Oppositionspolitiker – sind Statisten, Millionen geflohener Assad-Gegner im Ausland dürfen nicht wählen. Der Westen sieht die Wahl deshalb als Farce, doch sie ist ein wichtiger Teil des Plans von Assad und seiner Schutzmacht Russland für die Zeit nach dem Bürgerkrieg. Assad will seine Macht auf Jahre hinaus sichern.
Die Wahl soll dem 55-jährigen Assad, der seit dem Jahr 2000 an der Macht ist, seine vierte siebenjährige Amtszeit als Präsident garantieren. Bei der letzten Wahl 2014, die ebenfalls schon unter Kriegsbedingungen stattfand, erhielt der Staatschef nach offiziellen Angaben rund 90 Prozent der Stimmen.
Diesmal dürfte es ähnlich ausgehen, obwohl Syrien unter den Zerstörungen des mehr als zehnjährigen Krieges und einer schweren Wirtschaftskrise leidet. Nach UN-Angaben leben vier von fünf Syrern in Armut. Der Nordwesten und der Nordosten des Landes, die nicht von Assads Regierung kontrolliert werden, beteiligen sich nicht an der Wahl. Syrer im Ausland dürfen offiziell zwar in Botschaften und Konsulaten abstimmen, doch sie brauchen dazu einen gültigen Pass mit Ausreisestempel eines syrischen Grenzübergangs: Damit sind die allermeisten der mehr als sechs Millionen Syrer, die vor Assad ins Ausland flohen, von der Wahl ausgeschlossen.
Die Wahl sei ein „Deckmantel“, um der kriegsmüden Bevölkerung ein Stück Normalität vorzugaukeln, sagt Kristof Kleemann, Projekt-Direktor für Libanon und Syrien bei der Friedrich-Naumann-Stiftung. „Ein Sieg bei den Präsidentschaftswahlen soll zeigen, dass Präsident Assad der Einzige ist, der das zerrüttete Land vereinen und Syrien aus der wirtschaftlichen Abwärtsspirale herausführen kann“, sagte Kleemann unserer Zeitung.
Russland steht nach wie vor hinter Assad
Mindestens ebenso wichtig ist die außenpolitische Botschaft der Wahl. Mit russischer Hilfe hat der international geächtete Assad seit 2015 viele Gebiete Syriens von den Rebellen zurückerobert und sein Regime gerettet. Einige arabische Staaten haben wieder Beziehungen mit Assads Regierung aufgenommen, auch über eine Rückkehr Syriens in die Arabische Liga wird diskutiert.
Russland und das Regime in Damaskus wollen die Wahl vom Mittwoch benutzen, um diese Dynamik zu verstärken. Assad solle als frisch legitimierter Präsident präsentiert werden, erwartet der Nahost-Experte Joe Macaron vom Arab Center in Washington. Moskau plane den Wiederaufbau Syriens und wolle, dass Assad wieder von anderen arabischen Staaten akzeptiert werde, besonders von den reichen Golf-Staaten, sagte Macaron der Kleinen Zeitung. Arabische Investitionen in Syrien seien dann möglich.
Gleichzeitig markiert die Wahl das Scheitern der UN-Bemühungen um Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung für Syrien. Assads hatte den seit 2019 laufenden Verhandlungsprozess in Genf verschleppt, bevor die Gespräche im Januar ergebnislos abgebrochen wurden. Nach der Wahl am Mittwoch wird Assad weniger denn je zu Kompromissen mit der Opposition bereit sein. Die UNO, die USA und die EU wollen die Wahl nicht anerkennen, doch das ändert nichts daran, dass Assad seine Macht weiter festigt.
Die Folgen dürften bald spürbar werden. Im Juli muss der UN-Sicherheitsrat entscheiden, über welche Grenzübergänge die internationale Hilfe künftig nach Syrien rollen kann. Vetomacht Russland setzte in den vergangenen Jahren durch, dass Rebellengebiete in Syrien nur über den Übergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und der Provinz Idlib versorgt werden dürfen. Nun wird Moskau wahrscheinlich versuchen, auch Bab al-Hawa zu schließen. Dann müsste die UNO alle Hilfsgüter über syrisches Regierungsgebiet verteilen, was Assad großen Einfluss auf die Versorgung der drei Millionen Menschen in Idlib geben würde.
Droht eine neue Offensivew in Idlib?
Die Türkei befürchtet laut Diplomaten zudem eine neue Offensive syrischer Regierungstruppen in Idlib. Die Gefechte könnten eine neue Massenflucht von Syrern in die Türkei auslösen, die bereits 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat. Nahost-Experte Kleemann hält einen neuen Krieg um Idlib aber für unwahrscheinlich. Russland wolle „nach jahrelangem Engagement eine Kompensation seiner Kriegskosten“, sagte er. „Das wäre aber nur zu erreichen, wenn Gelder für den Wiederaufbau fließen und es zu keiner weiteren Eskalation kommt.“
Moskau hätte es deshalb auch gerne, dass die syrische Präsidentenwahl den Westen dazu zwingt, sich mit Assad zu arrangieren. USA und EU waren im vergangenen Jahr zwar von ihrer Forderung abgerückt, Assad müsse zurücktreten. Eine Zusammenarbeit mit der syrischen Regierung lehnt der Westen aber weiter ab. Die neue US-Regierung unter Joe Biden habe noch nicht definiert, unter welchen Bedingungen sie ihre Haltung ändern werde, sagte Macaron.
Auch nach der Wahl wird Assad also weiter auf eine Anerkennung durch den Westen und auf Geld aus den USA und Europa für den Wiederaufbau warten müssen. „Vor einer Normalisierung der Beziehungen von Assad kann ich nur warnen“, sagte Kleemann. „Es wäre ein fataler Fehler, einen Diktator zu belohnen, der seine Bevölkerung mit Giftgas angegriffen hat und für die Vertreibung von Millionen von Syrerinnen und Syrer verantwortlich ist.“
unserem Korrespondenten Thomas Seibert aus Istanbul