Die jüngste erschreckende Eskalation: Heute Abend wurden Raketen aus dem Libanon auf Israel abgefeuert. Die Geschosse seien im Meer gelandet, teilt das israelische Militär am Donnerstagabend mit. Dabei sei weder jemand verletzt noch sonstiger materieller Schaden angerichtet worden.
Auch am vierten Tag der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Jerusalem und der Hamas im Gazastreifen ist keine Beruhigung in Sicht. Seit Beginn der Eskalation sind mehr als 1600 Raketen aus der Palästinenserenklave auf israelisches Kernland geschossen worden. Die israelische Armee (IDF) fliegt dauerhaft Vergeltungsangriffe. In Gaza soll es mindestens 83 Tote gegeben haben, in Israel starben sieben Menschen. Versuche, einen Waffenstillstand zu erreichen, scheiterten.
Am späten Donnerstagnachmittag berichtete die israelische Tageszeitung „Haaretz“ unter Berufung auf diplomatische Quellen, dass die Hamas eine Feuerpause angeboten habe. Israel habe dies jedoch abgelehnt. Bereits am Tag zuvor hatte es aus dem Außenministerium Russlands die Nachricht gegeben, dass die Hamas die Kämpfe „auf gegenseitiger Basis“ einstellen wolle. Russland hatte in der Vergangenheit bereits zwischen Gaza und Jerusalem vermittelt.
Im Großraum Tel Aviv, dem am dichtesten besiedelten Gebiet Israels, heulten am Donnerstag auch tagsüber die Warnsirenen. Mehr als 200 Geschosse hätten auf das Zentrum zugesteuert. Dauerbeschuss auch im Süden. Rund 90 Prozent der Raketen werden vom Abwehrsystem „Iron Dome“ abgefangen, so der Sprecher der IDF, Jonathan Conricus. Es seien 7000 Reservisten eingezogen worden. Außerdem erwäge die Regierung eine Bodenoffensive im Gazastreifen.
Bislang habe die Armee nach eigenen Angaben etwa 600 „Ziele der Terrororganisationen Hamas und Islamischer Dschihad“ angegriffen, darunter Produktionsstätten von Raketen, Tunnel und Ausbildungseinrichtungen. Auch Gebäude seien gesprengt worden, in denen sich führende Mitglieder der beiden Gruppen befanden. Die in dem Palästinensergebiet regierende Hamas feuerte am Donnerstag zum ersten Mal eine Langstreckenrakete in Richtung Eilat, die mehr als 200 Kilometer weit flog. Sie verfehlte ihr Ziel.
Am Tag zuvor wurden in der israelischen Stadt Sderot bei einem direkten Einschlag in ein Gebäude sieben Menschen verletzt, unter ihnen ein fünfjähriges Kind. Der Bub erlag kurz darauf seinen schweren Verletzungen. 130 Raketen auf das Zentrum Sderots seien die Vergeltung dafür, dass die israelische Armee mehrere führende Hamas-Mitglieder getötet habe, ließ Hamas wissen.
Mehrere Fluggesellschaften sagten am Mittwoch ihre Flüge nach Israel ab. Die israelische Behörde für die zivile Luftfahrt ließ alle ankommenden Passagierflüge auf den Ramon Flughafen in Eilat umleiten. Abflüge aber fanden planmäßig vom Ben-Gurion-Flughafen statt. Die Fluglinien Austrian Airlines, Delta, United Airlines, Lufthansa und British Airways erklärten, dass sie ihre Flüge vorübergehend aussetzen.
Zur selben Zeit spielen sich in den gemischten jüdisch-arabischen Städten des Landes immer chaotischere Szenen ab, sind die Aufstände der jungen arabischen Israelis außer Kontrolle geraten.
In der Stadt Lod wurden Synagogen, Geschäfte und Autos in Brand gesteckt. Auch verbreiten zusehends Banden jüdischer Extremisten Angst und Schrecken unter der arabischen Bevölkerung. Der Bürgermeister von Lod, Yair Revivo, spricht von Zuständen wie im Bürgerkrieg. „Jahrzehnte der Arbeit für Koexistenz sind zunichte gemacht.“
Israels Regierung ordnete eine massive Aufstockung mit Einheiten der Grenzpolizei an. Nicht nur in Lod, sondern in anderen Städten mit gemischter Bevölkerung, darunter Haifa, Akko und dem Tel Aviver Stadtteil Jaffa. In Akko wurden ein Hotel und ein berühmtes Fischrestaurant in Brand gesteckt. Das Uri Buri, das seit Jahrzehnten existiert, ist eine Art Wahrzeichen der Stadt.
Mehrere Einwohner berichteten in israelischen Medien von ihren Erlebnissen. „Ich fühle mich in meinem Zuhause nicht mehr sicher“, fasste Lior Benisti aus Lod zusammen. „Wir haben zwei kleine Kinder, aber keinen Schutzraum, in den wir bei Raketenalarm rennen können.“ Obwohl sie bei Freunden unterkommen könnte, hat die Familie Angst, die Wohnung zu verlassen. „Lieber das Risiko der Raketen als das Chaos da draußen.“
unserer Korrespondentin Sabine Brandes aus Israel