Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach "Spiegel"-Informationen am Donnerstag mit dem Chef des Corona-Impfstoffherstellers Biontech, Ugur Sahin, telefoniert. In dem Gespräch ging es demnach um eine mögliche Patentfreigabe des Corona-Impfstoffs sowie um mögliche Schritte, um ärmere Länder besser mit Impfstoff zu versorgen. Ziel sei dabei keine kurzfristige Hilfe, sondern eine nachhaltige Versorgung mit Impfstoff, auch für zukünftige Pandemien.
Ob Sahin die Kanzlerin in ihrer kritischen Haltung zu einer möglichen Patentfreigabe bestärkte, war dem "Spiegel" zufolge unklar. Das Bestehen auf Patentschutz sei schon lange Merkels Haltung gewesen, hieß es dem Bericht zufolge aus Regierungskreisen.
EU-Kommission eher zurückhaltend
Nach einem überraschenden Vorstoß der USA wird derzeit über die Aufhebung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe diskutiert. Auch die Europäische Union zeigte sich am Donnerstag offen dafür. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) stellte sich hinter die Brüsseler Behörde. "Wir unterstützen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und sind offen für Gespräche sowie den WTO-Prozess, den die Amerikaner vorschlagen. Es ist wichtig, dass so viele Menschen wie möglich weltweit so rasch wie möglich geimpft werden, um die Pandemie zu besiegen", heiß es am Donnerstag dazu aus dem Bundeskanzleramt.
Aus Berlin kamen am Donnerstag unterschiedliche Signale. "Der limitierende Faktor bei der Herstellung von Impfstoffen sind die Produktionskapazitäten und die hohen Qualitätsstandards, nicht die Patente", teilte eine Regierungssprecherin mit. Sie hob zugleich die Notwendigkeit des Patentschutzes hervor: "Der Schutz von geistigem Eigentum ist Quelle von Innovation und muss es auch in Zukunft bleiben."
Auch Gesundheitsminister Jens Spahn wies Forderungen nach einer Aussetzung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe zurück. "Das Hauptthema ist nicht die Frage von Patenten, sondern von Produktionskapazitäten", sagte er am Freitag in Berlin. Der für deren Aufbau notwendige Technologietransfer lasse sich aber leichter in einem kooperativen Ansatz bewerkstelligen.
Spahn wies darauf hin, dass sich etwa die modernen mRNA-Impfstoffe wie der von Biontech/Pfizer "nicht einfach per Lizenz mal irgendwo produzieren" ließen. Wichtig seien hier Kooperationen, wie es sie auch beispielsweise mit Indien und Südafrika bereits gebe. "Wenn mehr Kooperation möglich ist, helfen wir gerne mit, solche Kooperationen zu befördern."
Zurückhaltend zu einer Patentfreigabe zeigte sich auch EU-Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis. Zwar habe ein universeller und freier Zugang zu Covid-19-Impfstoffen und -Medikamenten auch für die EU-Kommission "höchste Priorität", man wolle aber freiwilligen Lizenzvereinbarungen den Vorzug geben, sagte Dombrovskis dem "Handelsblatt" (Freitagsausgabe). Zwangslizenzen kämen ebenfalls infrage, aber vorzugsweise im Rahmen der bestehenden internationalen Regeln zum Schutz geistigen Eigentums.
Die polnische Regierung äußerte sich indes positiv zur US-Initiative. Die reichsten Länder sollten die Patente allen zur Verfügung stellen, die den Impfstoff produzieren könnten, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Freitag vor Beginn des EU-Sozialgipfels in Portugal. "Das ist nötig, um die Epidemie auf der ganzen Welt zu eliminieren."