Macht zermürbt den, der sie nicht hat. So heißt es. Bei Dominic Cummings stimmt das so nicht ganz, denn obwohl er nicht mehr an den Hebeln der Macht sitzt, mitten in Downing Street No. 10: Zermürbt wirkt der ehemalige Top-Berater Boris Johnsons nicht. Er gibt inzwischen eher den Intriganten in einem shakespearschen Königsdrama. Zielgerichtet, hinterhältig und selbstsicher. "Cummings ist eine tickende Zeitbombe, so jemanden will man nicht außerhalb des Teams haben", erklärte uns die britische Politologin Melanie Sully schon vor einem Jahr. Für jemanden mit einer vermeintlichen Hinterzimmer-Rolle hat Dominic Cummings eine bemerkenswerte Prominenz erreicht.
Dominic Cummings und Boris Johnson führten gemeinsam den Brexit ins Ziel, bis es im vorigen November zum Bruch kam. Nun ist Johnsons ehemaliger Chefstratege offenbar zu einem Rachefeldzug gegen seinen früheren Boss Boris aufgebrochen und lässt da und dort brisante und pikante Interna durchsickern, wie wir berichteten. "Es ist traurig, den Premierminister und sein Büro so weit unter die Integritäts- und Kompetenzstandards fallen zu sehen, die dieses Land verdient", schrieb Cummings zuletzt in seinem privaten Blog. Als Beispiel für Johnsons Fall nennt er die fast 60.000 Pfund teure Renovierung von Johnsons Wohnung, in der dieser abseits von Downing Street mit seiner Verlobten und dem gemeinsamen Sohn lebt. Die Financiers, so lässt Cummings durchsickern, seien Spender der konservativen Partei gewesen. Für mehrere britische Medien steht fest, dass Cummings den britischen Premier mit solchen Anschuldigungen zu Fall bringen kann.
Der 49-jährige Politstratege galt bis zu seinem Zerwürfnis mit dem Premier als dessen engster Vertrauter. Johnson war so auf ihn angewiesen, dass er sich sogar hinter seinen Chefideologen stellte, als dieser die Coronaregeln während des Lockdowns im Frühjahr 2020 gebrochen hatte.
Dokumente, Mails, mitgeschnittene Gespräche
Die "Sunday Times" schrieb diese Woche, dass Cummings genug kompromittierendes Material habe – Dokumente, Mails, mitgeschnittene Gespräche –, um Johnson zu "zerstören". "Dominic hat Kopien von allem und weiß, wo alle Leichen vergraben sind", zitiert die Zeitung einen Vertrauten von Cummings.
Die "Sunday Times" berichtet weiters, dass Cummings den Premier persönlich für die hohe Zahl an Coronatoten in Großbritannien verantwortlich machen wolle. Am 26. Mai werde Cummings vor dem Parlamentsausschuss Rede und Antwort stehen, der sich mit Johnsons Rolle in der Pandemie befasst. Der offen ausgetragene Krieg zwischen Johnson und seinem Top-Berater hat erst begonnen. Cummings ist nicht der Typ, der so einfach das Feld räumt.
Samara mit Wien verbinden
1971 wurde der Sohn eines Bauleiters einer Ölplattform und einer Sonderschullehrerin in Durham im Nordosten Englands geboren. In Oxford studierte er Geschichte. Danach hielt sich Cummings für drei Jahre von 1994 bis 1997 in Russland auf und versuchte unter anderem, eine Fluggesellschaft aufzubauen, die Samara, Russlands sechstgrößte Stadt, mit Wien verbinden sollte. Cummings spricht fließend Russisch.
Der verheiratete Vater eines Sohnes gehört zu den Architekten des Brexits. Von ihm stammt der Slogan "Get Brexit done" und er war 2016 auch für jenen roten Bus verantwortlich, der durch London kurvte und auf dem der Satz stand, der übersetzt lautete: "Wir schicken 350 Millionen Pfund pro Woche nach Brüssel. Lasst uns das Geld lieber für unser Gesundheitssystem nutzen." Auch wenn die 350 Millionen gelogen waren, hatten die Brexiteers damit, was sie wollten: die Mehrheit für den EU-Austritt. Der frühere britische Premier David Cameron hatte schon früh vor Cummings gewarnt. Sein Argument: Cummings sei ein "Karrierepsychopath".
Cummings’ "überaus aggressiver Stil" sei dabei, die Regierung Johnson ernsthaft zu beschädigen, schrieb schon im Vorjahr die Tory-freundliche Zeitung "The Times". Wie es aussieht, ist das heuer definitiv so.