Nun fallen die letzten Schranken. Für Dienstagfrüh wird das Ergebnis der gestrigen Abstimmung im EU-Parlament über die Ratifizierung des Brexit-Pakts erwartet. Es wird wohl durchgehen – damit tritt das Abkommen endgültig mit 1. Mai in Kraft.
„Worüber Sie abstimmen, ist folgenschwer in dem, wofür es steht und was es sichert“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gestern vor den Abgeordneten. An der Vertragstreue Londons besteht erheblicher Zweifel, vor allem die Sonderregeln für Nordirland wurden jetzt schon gebrochen. Die Ratifizierung ermöglicht es nun aber, im Streitfall Sanktionsmechanismen zu starten. Die EU, so von der Leyen, sei nicht erpicht darauf, diese zu nutzen, werde aber im Notfall auch nicht zögern.
Es bestehe zwar großer Nachbesserungsbedarf, aber das Abkommen sei die „beste verfügbare Option“, sagte Brexit-Berichterstatter Andreas Schieder (SPÖ). EVP-Fraktionschef Manfred Weber meinte, die Schlüsselfrage sei Vertrauen, sei die Glaubwürdigkeit der Regierung Johnson. Ähnlich drückte es die Fraktionschefin der Grünen, Ska Keller, aus: „Großbritannien darf nicht zum Singapur an der Themse werden.“ Die EU-Kommission müsse nun dafür sorgen, dass Sozial-, Steuer- und Umweltdumping verhindert werde. Die Abstimmung sei nicht das Ende der gemeinsamen Geschichte, aber die Eröffnung eines neuen Kapitels. Die liberale EP-Vizepräsidentin Nicola Beer erklärte, eine „weitere Hängepartie“ wäre verantwortungslos gewesen.
"Es ist mehr als bedauerlich, dass sich das Vereinigte Königreich zu diesem Schritt in die falsche Richtung entschieden hat und aus der EU ausgetreten ist. Jetzt schauen wir nach vorne und kümmern uns um eine gute nachbarschaftliche Zusammenarbeit. Die ist unbedingt nötig", sagten die ÖVP-Europaabgeordneten Angelika Winzig und Lukas Mandl.
Frist bis 30. April
Die britische Regierung weicht derzeit einseitig von einzelnen Vereinbarungen ab, was Brüssel als Vertragsbruch wertet. EU-Parlamentarier hatten gedroht, deswegen die Bestätigung des zu Weihnachten 2020 geschlossenen zweiten Abkommens zu verschieben. Das Handels- und Kooperationsabkommen wird bereits vorläufig angewandt. Beide Seiten hatten vereinbart, es bis 30. April endgültig in Kraft zu setzen. Einer Fristverlängerung hätte Großbritannien zustimmen müssen.
Bei ernsthaften und nicht zu klärenden Verstößen kann jede Vertragspartei notfalls Vereinbarungen außer Kraft setzen und zum Beispiel Zölle verhängen oder den Marktzugang erschweren.
Grundsätzlich soll der neue Handelspakt genau dies verhindern: Zölle und Handelsbarrieren. Er legt fest, dass britische Waren zollfrei und unbegrenzt in die EU eingeführt werden dürfen - und umgekehrt. Dennoch gibt es seit 1. Jänner Zollformalitäten und Kontrollen. Unter anderem wird geprüft, ob Produkte wirklich hauptsächlich in Großbritannien hergestellt wurden und ob Lebensmittel geforderten Standards entsprechen. Für die EU war das zentral: gleiche Standards, gleiche Wettbewerbsbedingungen und Schutz des Binnenmarkts.