Um elf Uhr wurde die weißrussischische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja heute von Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Hofburg empfangen.
Schon zu Beginn ihres erneuten offiziellen Besuchs in Wien hat Swetlana Tichanowskaja den Wunsch geäußert, Österreich solle als Vermittler zwischen dem Regime und der Oppositionsbewegung in Weißrussland (Belarus) auftreten. Auch über in dem Land tätige Unternehmen könne und solle Österreich Einfluss nehmen, sagte Tichanowskaja. Denn die menschenrechtliche Situation in ihrer Heimat werde von Tag zu Tag schlimmer.
Mit der in Wien ansässigen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) habe man eine "sehr gute Plattform, vielleicht die einzige Plattform, die einen Dialog organisieren kann", so die Politikerin. Sowohl Weißrussland als auch Russland sind Mitglied der OSZE. Ein Vermittler im Konflikt sei jedenfalls notwendig, denn das Regime von Alexander Lukaschenko beantworte alle Rufe der Oppositionsbewegung nach Dialog mit Gewalt, erzählte Tichanowskaja.
Gewalt nimmt weiter zu
In den vergangenen Monaten habe die Gewalt weiter zugenommen. Während im Herbst Menschen noch im Zuge der Proteste massenhaft festgenommen worden waren, würden diese nun "einzeln gekidnappt und in Gefängnisse gesteckt". "Menschen, die nichts gemacht haben, außer ihre Unterstützung für die Opposition zu zeigen, werden zu fünf, zehn Jahren Haft verurteilt", erklärte Tichanowskaja, deren Mann Sergej Tichanowski selbst seit fast einem Jahr inhaftiert ist. An seiner Stelle trat die 38-Jährige bei der Präsidentenwahl am 9. August an. Lukaschenko erklärte sich zum Wahlsieger, die Opposition sieht Tichanowskaja als Gewinnerin.
Trotz der Unterdrückung und "all der Gewalt geben die Menschen nicht auf. Sie wollen die Veränderung", betonte Tichanowskaja, die selbst aus Angst vor Strafverfolgung ins Ausland floh. Auch sie selbst verliere den Optimismus nicht, "ich habe kein Recht dazu." Die Protestbewegung müsse nun kreativer werden und "andere Formen des Protests" finden, um zu zeigen, "dass wir noch hier sind", sagte sie.
Nächsten großen Demonstrationen am 9. Mai?
Auf die Frage, ob etwa am 9. Mai, anlässlich der traditionellen Feiern zum 75. Jahrestag des Sieges über den Hitlerfaschismus, bereits die nächsten großen Demonstrationen in Weißrussland stattfinden könnten, wollte Tichanowskaja nicht direkt antworten. "Es sind die Leute selbst, die uns sagen, ob und wann sie bereit sind." Zwar sei der 9. Mai ein "großer Tag" in Weißrussland, doch in diesem Jahr sei auch möglich, dass es keine Feiern oder eine Militärparade gibt, weil "das Regime vor den Menschen (der Opposition, Anm.) Angst hat".
Dass die Opposition angesichts der Ankündigung der Bildung zweier neuer Parteien zersplittere, glaubte Tichanowskaja nicht. Man verfolge weiterhin ein gemeinsames Ziel, jenes neuer, freier Wahlen. "Und die neuen Parteien schaden diesem Ziel ja nicht." Im Gegenteil, die 38-Jährige sieht darin eine weitere Möglichkeit, "die Menschen zu mobilisieren und zu vereinen". Außerdem brauche es viele neue Parteien, um ein "neues Weißrussland" aufzubauen.
Die Beziehungen zu Russland
Dass dieses "neue Weißrussland" auch mit Russland und Präsident Wladimir Putin enge Beziehungen brauche und haben werde, steht für Tichanowskaja außer Zweifel. Ob das mit Putin, der derzeit stramm an der Seite Lukaschenkos steht, möglich ist? "Ich glaube, es wird möglich sein, diese Beziehung transparenter und offener zu gestalten", meinte die 38-Jährige ausweichend. Klar sei jedenfalls, dass Weißrussland ein unabhängiger, souveräner Staat sei und bleiben werde.
Gefragt nach dem kolportierten vereitelten Anschlag auf Lukaschenko bezeichnete Tichanowskaja diesen als "fake". "Jeder weiß, dass das fake ist." Der langjährige Machthaber wolle damit der Welt suggerieren, dass er das Opfer sei und damit die "Gewalt und Folter" in Weißrussland rechtfertigen.
Österreich als Vermittler
Zu einem möglichen Dialog mit Lukaschenko oder möglichen indirekten Gesprächen, bei denen Österreich vermittlen könne, sagte Tichanowskaja, dass noch nicht klar sei, wann diese stattfinden könnten. Aber: "In dem Moment, in dem das Regime genug unter Druck steht und weiß, dass es keinen Ausweg gibt, muss alles vorbereitet sein." Man setze deshalb jetzt schon Schritte und versuche, so viele Verbündete wie möglich zu finden.
Österreich habe allerdings auch noch einen anderen Hebel, über den es Druck auf Lukaschenko ausüben könne, stellte Tichanowskaja fest. Der Telekommunikationsanbieter A1 etwa, der eines der größten Handynetze im Land betreibt, werde bei Demonstrationen oft gezwungen, das Internet abzuschalten. Die Unternehmen müssten ganz klar Bedingungen stellen, betonte die Politikerin: "Geschäfte in Weißrussland sind gut, aber baut die Geschäfte auf Werten, für die ihr steht. Wenn das Regime euch benutzt für ihre Gewalt, dann stellt Bedingungen!", appellierte sie.
Ob es zu einem Treffen mit A1 in Wien kommt, war am Montag noch offen. Sie werde aber zum Beispiel mit Vertretern der Raiffeisen Bank International (RBI), die eine zentrale Rolle beim Verkauf von weißrussischen Staatsanleihen gespielt hatte, sprechen. Am Dienstag ist zudem ein Treffen mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen geplant, am Mittwoch stehen Gespräche mit Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) auf dem Programm. Geplant sind auch Beratungen mit der OSZE.