US-Präsident Joe Biden hat das vom Osmanischen Reich an den Armeniern verübte Massaker offiziell als "Völkermord" anerkannt. "Das amerikanische Volk ehrt all jene Armenier, die in dem Völkermord, der heute vor 106 Jahren begann, umgekommen sind", hieß es in einer vom Weißen Haus verbreiteten Mitteilung Bidens zum Gedenktag des Armenier-Genozids am Samstag. Die Erklärung, mit der Biden ein Wahlkampfversprechen erfüllte, dürfte die Beziehungen zur Türkei stark belasten.
Entsprechend war man in Washington um Schadensbegrenzung bemüht. So betonte ein hochrangiger US-Regierungsvertreter unmittelbar nach Veröffentlichung der Erklärung am Samstagvormittag (Ortszeit), dass Biden eng mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zusammenarbeiten und ihn auch am Rande des NATO-Gipfels im Juni treffen wolle.
Washington betont Interesse an guten Beziehungen zu Ankara
Die Türkei sei ein wichtiger NATO-Partner und man wolle eine starke Beziehung mit Ankara, hieß es weiter. Biden selbst betonte in seiner Erklärung, es gehe nicht um eine "Schuldzuweisung", sondern darum, "sicherzustellen, dass sich das, was geschehen ist, nie wiederholt". Biden hatte am Freitag mit Erdogan telefoniert. Ob er seinen türkischen Amtskollegen dabei schon von seiner Absicht zur Anerkennung des Armenier-Völkermords informierte, war unklar.
Kommentar von Stefan Winkler
Bereits 2019 hatte der US-Kongress die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord anerkannt und sich damit den Zorn Ankaras zugezogen. Die Regierung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump betonte anschließend, die rechtlich nicht bindende Resolution ändere nichts an der Haltung der US-Regierung. Biden-Vorgänger Trump hatte "von einer der schlimmsten Massen-Gräueltaten des 20. Jahrhunderts" gesprochen, das Wort Völkermord aber - wie andere US-Präsidenten auch - aus Rücksicht auf den engen Bündnispartner Türkei vermieden.
Der österreichische Nationalrat verurteilte die Gräueltaten an den Armeniern im April 2015 offiziell als Völkermord, weswegen Ankara zeitweise den Botschafter aus Wien abzog. Eine Anerkennung der Gräueltaten als Genozid durch den Deutschen Bundestag im Jahr 2016 belastete die deutsch-türkischen Beziehungen schwer.
Zuvor hatte auch Bidens französischer Amtskollege Emmanuel Macron des Massakers an den Armeniern gedacht. "Das französische Volk und das armenische Volk sind für immer verbunden", teilte der 43-Jährige am Samstag via Twitter mit. Auf Bildern war der Staatschef anlässlich des "Gedenktags für den armenischen Genozid" beim Mahnmal im Zentrum der französischen Hauptstadt zu sehen.
Auch Macron ehrt Andenken an Armenier
Macron hatte vor rund zwei Jahren angekündigt, den 24. April zu einem nationalen Gedenktag zu machen. Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete, war es nun das erste Mal, dass er am Gedenktag an einer offiziellen Feier teilnahm. In Frankreich gibt es eine große armenische Diaspora.
Bis zu 1.5 Millionen Tote
Während des Ersten Weltkriegs waren Armenier systematisch verfolgt und unter anderem auf Todesmärsche in die syrische Wüste geschickt worden. Historiker sprechen von Hunderttausenden bis zu 1,5 Millionen Opfern. Die Türkei als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches gesteht den Tod von 300.000 bis 500.000 Armeniern während des Ersten Weltkrieges ein und bedauert die Massaker. Eine Einstufung als Völkermord weist sie jedoch strikt zurück.
Das Osmanische Reich war im Ersten Weltkrieg ein Bündnispartner von Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich, die beim Massenmord an den Armeniern wegschauten. In der deutschen Armee gab es sogar Befürworter des Genozids, weil die Armenier beschuldigt wurden, auf der Seite des gemeinsamen Kriegsfeindes Russland zu stehen. Dieses kämpfte mit Großbritannien und Frankreich gegen die drei "Mittelmächte".