Tagelang schwiegen sie und kämpften im Hintergrund darum, wer Kanzler-Kandidat für die Bundestagswahl wird. Heute geht es Schlag auf Schlag: Zuerst kündigte der CSU-Vorsitzende und Ministerpräsident Markus Söder an, heute um 14.00 Uhr eine Pressekonferenz abzuhalten.

Wenig später teilte laut ntv ein Sprecher der CDU mit, auch Armin Laschet werde heute vor die Presse treten - und zwar schon um 13 Uhr. Für heute Abend will CDU-Chef Laschet den Bundesvorstand einberufen.

 Söder gratuliert Baerbock - und erneuert seinen Machtanspruch

CSU-Chef Markus Söder tritt vor die Presse und, wie zuvor Laschet, gratuliert er zunächst einmal den Grünen zu einer Entscheidung. Er freue sich auf den Wahlkampf. Er selbst habe mittlerweile mit Armin Laschet über die K-Frage der Union gesprochen, aber es gebe noch keine Entscheidung. "Ich persönlich bin bereit, Verantwortung zu übernehmen - wenn eine breite Mehrheit dies will". Die Union könne nur als Team gewinnen. Die CDU entscheide allein. Er werde eine Entscheidung des Bundesvorstands akzeptieren. "Breite Mehrheit" bedeute: wenn Vorstand, Fraktion und Basis gemeinsam wollen. "Ich habe ausdrücklich Respekt vor allen Gremien", sagte Söder. "Es gibt für mich Zuspruch aus der Bevölkerung", sagte Söder. Diese Woche der "Beratungen" sei wichtig gewesen, "um hineinzuhorchen". Er schloss mit: "Es bleibt spannend".

Laschet gratuliert Baerbock - und will am Abend Vorschlag unterbreiten

CDU-Chef Armin Laschet tritt vor die Presse und gratuliert der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Er plädierte dafür, anders als in den USA, einen fairen Wahlkampf anzustreben.  "Auch wir werden unseren Kanzler-Kandidaten bald bestimmen", ließ Laschet weiter offen, ob er es wird oder CSU-Chef Markus Söder. Er habe für heute, 18 Uhr, den Bundesvorstand eingeladen, die Situation zu beraten. Offenbar will sich Laschet dort offiziell nominieren lassen. "Ich finde, wir müssen viel miteinander im Gespräch bleiben", sagte Laschet. Er hoffe, dass man in dieser Woche zu den erforderlichen Entscheidungen komme.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, die graue Eminenz der CDU, hat eine klare Vorgabe im Ringen um die Kandidatur gemacht. Schäuble, der bisher Laschet unterstützt, hat deutschen Medienberichten zufolge Laschet klar gemacht, dass er keine Wahl habe und an der Spitzenkandidatur festhalten müsse. Andernfalls werde er sih nicht als Parteichef der CDU halten können.

Die Grünen haben sich auf Parteichefin Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin geeinigt. Damit kommt die Union zusätzlich unter Druck, indem der derzeit stärkste Herausforderer ihr vormacht, wie geräuschlos die Entscheidung über eine Kanzlerkandidatur zwischen zwei Anwärtern ablaufen kann. Co-Grünenchef Robert Habeck betonte in einer Pressekonferenz, die Grünen zeigten einen Stil, der das Miteinander nach vorne stelle. "In dieser Situation führt der gemeinsame Erfolg dazu, dass einer einen Schritt zurücktreten muss."

Umfragen sprechen gegen Laschet

Noch glaubt CDU-Chef Laschet an seine Chance, Kanzlerkandidat zu werden. Ob das wirklich zum Sieg bei der Bundestagswahl führen würde, ist Umfragen alles andere als sicher. Im RTL/ntv Trendbarometer stagniert die Union seit drei Wochen bei 27 Prozent. Von diesen 27 Prozent wären laut einer neuen Forsa-Umfrage aber nur knapp zwei Drittel - 65 Prozent - bereit, der Union auch dann ihre Stimme zu geben, wenn der Kanzlerkandidat Armin Laschet heißt. Dagegen sagen 35 Prozent, dass sie eine andere Partei oder gar nicht wählen würden, wenn die Union mit CDU-Chef Laschet als Spitzenkandidat antritt. 

Vorteil Söder?

Weil auch in der Nacht auf Montag keiner der beiden Rivalen einen Rückzieher machten wollte, zieht sich die Entscheidung hin - so sehr, dass den beiden Parteichefs das Heft des Handelns aus der Hand genommen werden könnte.

In der Union wird spekuliert, dass es eher dem CSU-Chef nutzen könnte, wenn andere entscheiden - weshalb er von Anfang an auf Zeit gespielt haben könnte. Mehrere CDU-Politiker warnten, dass sich Spaltungen in der Union vertiefen könnten, wenn es zu Kampfabstimmungen in Gremien kommen sollte.

Hier ein Überblick über die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Entscheidung:

Faktor Spitzengremien

Laschets stärkster Trumpf war bisher die deutliche Unterstützung in Präsidium und Bundesvorstand seiner Partei. Die meisten wichtigen Spitzenpolitiker der CDU haben ihn auch zuletzt weiter unterstützt. Viele CDU-Granden wie die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer oder Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier empören sich auch öffentlich darüber, dass CSU-Chef Söder gegen die klare Mehrheitsmeinung der wichtigsten Gremien der großen Schwesterpartei antreten will.

Aber Söder setzt darauf, dass die Zahl der Abweichler in den Spitzengremien mit der Zeit größer wird und sich der Eindruck fehlender Geschlossenheit der CDU verstärkt. Er selbst kontrolliert die nur in Bayern antretende CSU sehr viel stärker, die Abhängigkeiten vom Parteichef für die eigene Karriere sind in der CSU größer. Zwar gibt es auch in der CSU harte Söder-Kritiker, diese halten sich in der Debatte bisher aber zurück.

Tatsächlich haben sich in der CDU seit vergangenen Montag die Ministerpräsidenten von Saarland, Sachsen-Anhalt und Sachsen Söders Position angenähert und betont, wie wichtig Umfragewerte bei der Auswahl des Kanzlerkandidaten sind.

Laschet könnte theoretisch die CDU-Spitzengremien zusammenrufen lassen, um seine Unterstützer um sich zu sammeln - und Söder das Risiko klar zu machen, gegen den Willen fast der gesammelten Führungsmannschaft der CDU in einen Wahlkampf ziehen zu wollen. Allerdings ist nicht klar, wie geschlossen die Reihen in der CDU wirklich wären. Sollte der CSU-Chef auch dann nicht weichen wollen, bliebe es beim Patt.

Faktor Kreisvorsitzende

Der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz, Christian Baldauf, und Sachsen-Anhalts CDU-Landeschef Sven Schulze haben eine Konferenz der Kreisvorsitzenden gefordert. Diese würden eher die Stimmung an der Parteibasis kennen, lautet das Argument. Eine solche Runde der 325 CDU-Kreisvorsitzenden sowie deren CSU-Kollegen kann zwar nicht über die Kanzlerkandidatur entscheiden. Aber ein Stimmungsbild dürfte Söder in die Hände spielen - denn je tiefer man in der Parteistruktur nach unten geht, desto größer ist laut Umfragen die Unterstützung für den CSU-Chef. Dennoch galt eine solche bundesweite Schaltkonferenz bisher als eher unwahrscheinlich. Allerdings zeigten die Schalten der Landesverbände Berlin und Niedersachsen, dass den Parteichefs langsam das Verfahren aus der Hand genommen wird.

Faktor Bundestagsfraktion

Als Söders eigentliches Druckmittel gilt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die am Dienstag regulär tagt. Hier gilt eine Mehrheit für den CSU-Chef als wahrscheinlich. Zumindest war so das Stimmungsbild der Redner in der vergangenen Sitzung, an der sowohl Söder wie auch Laschet teilnahmen. Söder hatte auf seine Umfragewerte verwiesen und die Ängste der Abgeordneten mit Direktmandat geschürt, dass sie mit einem Kandidaten Laschet die entscheidenden zwei, drei Prozent verlieren könnten. "Die etablierten CDU-Abgeordneten mit sicheren Wahlkreisen beeindruckt so eine Argumentation nicht - andere schon", sagt ein führendes Fraktionsmitglied. Söders Kalkül, so war schon Samstag in der CDU gemutmaßt worden, könnte also sein, einfach die Zeit bis Dienstag auszusitzen. Fraktionsvize Carsten Linnemann warnte aber vor einer Kampfabstimmung, weil dies die Fraktion zerreißen könnte.

Laschet wie auch der deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) warnen, die Fraktion sei das falsche Forum für eine solche Entscheidung. Historisch gibt es ein Vorbild: 1979 wählten die Unions-Abgeordneten den damaligen CSU-Chef Franz-Josef Strauß in einer Kampfabstimmung gegen den CDU-Kandidaten Ernst Albrecht zum Kanzlerkandidaten - Strauß verlor die anschließende Bundestagswahl.

Faktor Zeit

Je länger die Entscheidung dauert, desto mehr Unions-Politiker sorgen sich um den negativen Eindruck in der Öffentlichkeit. Damit wächst der Druck, endlich eine Entscheidung herbeizuführen - egal welche. Dies führt dazu, dass alte Vorbehalte über Bord geworfen werden, damit man nur zu einem Ergebnis kommt. Tendenziell könnte auch dies Söder nutzen, wenn er partout nicht nachgeben will - weil seine Truppen geschlossener scheinen. "Die CDU ist immer konsensorientierter als die lautstark auftretende bayerische Regionalpartei", meint dazu ein CDU-Bundesvorstandsmitglied.