Es sollte noch einmal so sein wie immer auf den Parteitagen. Die Rede des Vorsitzenden, gefolgt von lang anhaltendem Applaus. Dieses Mal würden die Ovationen sogar noch länger dauern. Denn heute, zu Beginn des VIII. Parteitags der Kommunistischen Partei Kubas, wird Raúl Castro als Erster Sekretär des Zentralkomitees vermutlich seine letzte Rede halten. Castro, der 2018 als Staatschef abdankte, gibt nach zehn Jahren auch den Parteivorsitz ab. Mit 89 Jahren.
Aber wahrscheinlich können die Delegierten nur virtuell klatschen. Denn es ist fraglich, ob der Kongress als Präsenzveranstaltung stattfindet. Kuba, das Corona bisher gut im Griff hatte, verzeichnet gerade mehr als 1000 Neuansteckungen pro Tag. Die Hauptstadt Havanna ist besonders hart getroffen.
Historischer Parteitag
Ob im Internet oder Konferenzzentrum – dieser Parteitag wird historisch und einer der wichtigsten seit der Revolution von 1959. Das nicht nur, weil der letzte Castro geht und der Vorhang für die historische Generation fällt. Vielmehr muss die neue Führungsgeneration um Staatschef Miguel Díaz-Canel (60), der wohl auch Parteichef werden wird, dringend Lösungen für Gegenwart und Zukunft der Insel und ihr sozialistisches Projekt finden. Nie seit 1959 war die Krise so tief und die Herausforderungen so komplex.
Die Coronakrise und ihre Wirtschaftsfolgen, die sogar die Ernährungssicherheit in Gefahr bringen, US-Sanktionen, die wegbrechende Bruderhilfe aus Venezuela, die Umsetzung der Währungsreform vom Jahresanfang und die zarten, aber unübersehbaren sozialen Proteste sind drängende Probleme.
Kuba soll in die Moderne geführt werden
Es gehe darum, Kuba in die Moderne zu führen, sich endlich zur Marktwirtschaft zu bekennen und die vor Jahren eingeleiteten Reformen nicht mehr nur halbherzig, sondern entschieden und schneller voranzutreiben als bisher, sagt Pavel Vidal, kubanischer Ökonom an der Javeriana-Universität im kolumbianischen Cali. „Die Inflation bei manchen Produkten beträgt seit der Währungsreform bis zu 500 Prozent, das Haushaltsdefizit liegt bei 20 Prozent des BIP, Kuba erlebt sein zweites Jahr in Rezession und das sechste mit fallenden Exporten“, zählt Vidal die Horrorbilanz auf. „Die Währungsreform war alternativlos, kam aber zu spät und zu abrupt und hat für die Bevölkerung dramatische Folgen. Darauf muss der Parteitag eine Antwort geben“.
Mit Vorlauf von nur wenigen Wochen hatte die Regierung am 1. Jänner die Doppelwährung abgeschafft und nach einem Vierteljahrhundert den konvertiblen, an den Dollar gekoppelten Peso CUC vom Markt genommen. Es gilt nur noch der kubanische Peso CUP, der zum Wert von 1 zu 24 zum Dollar getauscht wird. Die Währungsreform stellt den umfassendsten Umbau der sozialistischen Wirtschaft seit der Revolution dar. Die meisten der unrentablen Staatsbetriebe, bei denen 70 Prozent der arbeitenden Kubaner angestellt sind, werden verschwinden sowie Subventionen und Lebensmittelrationen perspektivisch abgeschafft.
Aber die Reform hat zum Preisschock, zu Hamsterkäufen, zur Rationierung bestimmter Lebensmittel und stundenlangem Schlangestehen für praktisch jede Ware geführt, was für wachsenden Unmut sorgt. Besser dran ist, wer Dollar hat. Die Währung des Klassenfeindes hilft, in den staatlichen Devisenläden einzukaufen. Dort gibt es, was es woanders für den CUP kaum noch gibt: Haushaltsgeräte, Lebensmittel und Hygieneartikel.
Aber auch Dollar sind ein knappes Gut, weil noch immer die Sanktionen in Kraft sind, die Ex-US-Präsident Trump gegen die Insel verhängt hat. So musste der Finanzdienstleister Western Union seine Büros schließen, weil der lokale Abwickler Fincimex auf der schwarzen Liste der Unternehmen steht, mit denen US-Konzerne keine Geschäfte machen dürfen. Western Union wickelte Zahlungen von bis zu 2,4 Millionen Dollar täglich nach Kuba ab. Das Geld fehlt den Familien. Auch der Staat flirtet mit der Pleite, weil Corona die wichtige Devisenquelle des Tourismus komplett versiegen ließ. 2020 schrumpfte die Wirtschaft um elf Prozent.
Die Führung hofft, dass US-Präsident Joe Biden seine Ankündigungen aus dem Wahlkampf wahr macht und einige der Sanktionen zurücknimmt. Bisher hat Washington aber signalisiert, dass Kuba keine Priorität genießt. Möglicherweise wartet man auf Signale der Öffnung vom Parteitag am Wochenende. Diese könnten in Wirtschaftsfragen kommen, aber dass die kommunistische Führung mehr politische Freiheiten gibt oder am Einparteienstaat rüttelt, darf ausgeschlossen werden.
Die neue Führung müsse „ihre Legitimität auf ein eigenes politisches Projekt gründen, das wirtschaftlichen Wohlstand mit sozialer Gerechtigkeit verknüpft“, fordert Michael Shifter, Direktor des „Interamerican Dialogue“, eines auf Lateinamerika spezialisierten Thinktanks in Washington. „Es geht darum, das System grundlegend zu verändern und nicht nur jemand Jüngeres zum Parteichef zu wählen.“ Dem stimmt ein 30-jähriger Mann aus Santiago de Cuba zu. Die Partei habe kein Gespür für die Menschen, kritisiert er. „Es gibt weder Medikamente noch Lebensmittel, dafür fast täglich Übergriffe durch die Polizei.“ Zu Beginn des Jahres habe er noch für zehn Pesos mittagessen können, jetzt benötige er 50. „Die meisten Produkte sind für die Mehrheit der Kubaner ohne Zugang zu Dollars unerreichbar.“
Von unserem Korrespondenten Klaus Ehringfeld aus Bogotá