In der Gemeinsamen Kommission des internationalen Atomabkommens mit dem Iran blieb in den vergangenen Jahren immer ein Stuhl leer: Seit März 2018 nahmen die USA nicht mehr an den Sitzungen des Gremiums teil, das über die Umsetzung des Vertrags wachen soll. Damals stieg Washington aus dem Abkommen aus und boykottierte seither die Kommission. Jetzt will der neue US-Präsident Joe Biden in den Vertrag zurück. An diesem Dienstag nehmen deshalb zum ersten Mal seit drei Jahren wieder Vertreter aller Vertragsparteien an einer Sitzung der Kommission in Wien teil. Mit dem Treffen beginnen die ersten ernsthaften Verhandlungen über die Zukunft des Abkommens seit dem Ausstieg der USA. Die Gespräche dürften schwierig werden.
Das zeigte sich schon vor dem Treffen an der Ankündigung der Iraner, sich nicht mit den Amerikanern an einen Tisch setzen zu wollen. Die Verhandlungen werden deshalb indirekt geführt, mit den europäischen Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien als Vermittler. Auch die zwei anderen Vertragspartner, China und Russland, werden in Wien vertreten sein.
China macht Einfluss geltend
Nicht nur die USA und Europa drängen Teheran zu neuen Gesprächen. Auch China, das seinen Einfluss auf den Iran kürzlich mit der Unterzeichnung eines Partnerschaftsvertrages mit Teheran verstärkte, will eine Einigung. Vor der Sitzung herrschte verhaltener Optimismus. Die USA gehen nach den Worten ihres Iran-Beauftragten Robert Malley mit einer „konstruktiven Haltung“ in das Treffen. Er wolle sehen, ob die USA und der Iran „einen ersten Schritt“ tun könnten, sagte Malley dem Sender PBS. Immerhin wollen beide Länder grundsätzlich zum Abkommen zurückkehren.
Tiefes Misstrauen, die Iran-Feindschaft von US-Verbündeten wie Israel und der anstehende Präsidentschaftswahlkampf im Iran belasten jedoch die Wiederannäherung. Das Atomabkommen von 2015 sollte den Bau einer iranischen Atombombe verhindern und sah einen Abbau internationaler Iran-Sanktionen im Gegenzug für strikte Kontrollen über das iranische Atomprogramm vor. Bidens Vorgänger Donald Trump kündigte den Vertrag 2018 auf und überzog den Iran mit zusätzlichen Sanktionen. Iran antwortete mit der gezielten Verletzung von Vertragsvorschriften, etwa bei der Urananreicherung. Gleichzeitig griff Teheran verstärkt in Konflikte im Irak, in Syrien und im Jemen ein.
Iran ist vorangekommen
Heute habe der Iran zehn Mal so viel angereichertes Uran wie 2017, sagte Malley, ein ehemaliger Chef der Denkfabrik International Crisis Group. Seine früheren Kollegen schätzen, dass der Iran heute innerhalb von drei Monaten eine Atombombe bauen könnte – und damit wesentlich schneller als vor dem Ausstieg der USA aus dem Vertrag. Trumps Strategie sei gescheitert, sagt Bidens Regierung deshalb. Sie bietet den Iranern einen Abbau von Sanktionen an, sobald Teheran sich wieder an die Vorgaben des Abkommens hält.
Der Iran dagegen will, dass die USA den ersten Schritt tun. Erst wenn Amerika alle Sanktionen abgeschafft habe, werde der Iran wieder vertragstreu handeln, sagte Außenamtssprecher Saeed Khatibzadeh vor dem Wiener Treffen.
Wien als Neubeginn
In Wien soll versucht werden, dieses Hin und Her zu beenden. Die Crisis Group schlägt vertrauensbildende Maßnahmen vor, mit denen die USA beispielsweise eingefrorene iranische Auslandsguthaben zur Anschaffung humanitärer Güter freigibt. Der Iran könnte sich revanchieren, indem er auf weitere Vertragsverletzungen verzichtet. Nach und nach könnten die beiden Länder auf diese Art ihre jeweiligen Verpflichtungen unter dem Abkommen wieder einhalten.
Eine Choreographie für diesen diplomatischen Austausch zu entwickeln, ist die Hauptaufgabe des Wiener Treffens. Besonders das Geschick der Europäer als Vermittler ist gefragt, denn viele Störfaktoren können den neuen Verhandlungsprozess aus der Bahn werfen.
Hardliner im Rücken
Wenn beide Seiten auf Maximalpositionen verzichten, wie Malley fordert, dann setzen sie sich in der Innenpolitik des jeweils eigenen Landes dem Vorwurf aus, vor dem Gegenüber eingeknickt zu sein. Kritiker Bidens in den USA wünschen sich eine Entmachtung des Mullah-Regimes im Iran. Hardliner im Iran wollen den pragmatischen Kräften unter Präsident Hassan Ruhani vor der Präsidentschaftswahl im Juni keinen internationalen Erfolg mehr gönnen.
Regionale US-Partner wie Israel und Saudi-Arabien befürchten, dass der Iran das Entgegenkommen der Biden-Regierung für seine Zwecke ausnutzen könnte. Malleys PBS-Interview missfiel nach Medienberichten der israelischen Regierung, weil der Iran-Beauftragte nur von einer Rückkehr zum Atomvertrag sprach, ohne zusätzliche Beschränkungen etwa für das iranische Raketenprogramm zu erwähnen. Auch nach einem Neustart in Wien ist ein Durchbruch noch weit.
Thomas Seibert aus Istanbul