Im Korruptionsprozess gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu hat die Staatsanwaltschaft dem 71-Jährigen Machtmissbrauch vorgeworfen. Die leitende Staatsanwältin Liat Ben-Ari sprach in ihrem Eröffnungsplädoyer am Montag von einem "ernsten Fall von Korruption durch die Regierung". Noch während der Gerichtsverhandlung führte Präsident Reuven Rivlin knapp zwei Wochen nach der Parlamentswahl erste Gespräche mit Parteipolitikern über Möglichkeiten zur Regierungsbildung.
Ben-Ari warf dem seit zwölf Jahren amtierenden Ministerpräsidenten vor, die ihm anvertraute Regierungsmacht unter anderem dazu genutzt zu haben, "unzulässige Vorteile von Eigentümern großer Medien in Israel zu verlangen". Er habe damit seine eigenen Interessen verfolgt, "auch in seinem Bestreben, wiedergewählt zu werden".
Anwesenheit angeordnet
Netanyahu erschien zu dem Termin persönlich vor dem Bezirksgericht in Jerusalem. Seine Teilnahme an den Eröffnungsplädoyers war von den Richtern angeordnet worden. Vor dem Beginn der Zeugenanhörung durfte Netanyahu die Verhandlung aber wieder verlassen. Anschließend übte er in einer Erklärung scharfe Kritik an Ben-Ari. Nicht er selbst, sondern die Staatsanwaltschaft habe die ihr anvertraute Macht "unrechtmäßig" nutzt, erklärte Netanyahu.
Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich Unterstützer und Gegner des Regierungschefs. Einige Demonstranten hielten Transparente mit der Aufschrift "Verbrechensminister" in die Höhe.
Medien beeinflusst
Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Anklage gegen Netanyahu auf mehr als 300 Zeugenaussagen. Als erster Zeuge sagte der ehemalige Chef der Nachrichtenwebsite Walla, Ilan Jeschua, aus. Er gab an, regelmäßig Anweisungen von Netanyahu-Verbündeten erhalten zu haben, Artikel zu veröffentlichen, die entweder ein gutes Licht auf den Regierungschef oder ein schlechtes auf dessen Gegner warfen.
Netanyahu ist als erster amtierender Ministerpräsident des Landes wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue angeklagt. Er wird unter anderem beschuldigt, der Telekommunikationsfirma Besek Gefälligkeiten im Gegenzug für eine positive Berichterstattung auf der zu dem Konzern gehörenden Website "Walla" gewährt zu haben. Weitere Vorwürfe beziehen sich auf Luxusgeschenke, die Netanyahu und seine Angehörigen von reichen Persönlichkeiten im Gegenzug für finanzielle und persönliche Vorteile angenommen haben sollen. Er selbst weist die Vorwürfe zurück und bezeichnet sich als Opfer einer politischen "Hexenjagd".
Auf Partnersuche
Ebenfalls am Montag traf sich Präsident Rivlin mit Parteivertretern, um nach der Parlamentswahl am 23. März die Möglichkeiten für eine Regierungsbildung auszuloten. Netanyahus Likud-Partei war bei dem Wahlgang - dem vierten in nur zwei Jahren - stärkste Kraft mit 30 von 120 Parlamentssitzen geworden. Weder das Netanyahu-Lager noch seine Gegner konnten jedoch bisher eine Einigung auf eine Regierungskoalition erreichen.
Traditionell überträgt Israels Präsident jenem Spitzenkandidaten die Regierungsbildung, der den meisten Zuspruch von Abgeordneten erhält. Die meisten Empfehlungen von Parlamentariern erhielt am Montag Netanyahu mit 52 Stimmen. 45 Empfehlungen entfielen auf den Liberalen Jair Lapid von der Partei Jesch Atid. Rivlin hat allerdings bereits angedeutet, sich nicht allein von den Zahlen leiten lassen zu wollen, sondern jenem Kandidaten den Regierungsbildungsauftrag zu erteilen, "der die beste Chance hat, eine Regierung zu bilden". Seine Entscheidung will Rivlin nach Angaben seines Büros an diesem Dienstag bekannt geben.
Der von Rivlin bestimmte Kandidat hat 28 Tage Zeit, ein Regierungsbündnis zu formen. Gelingt ihm dies nicht, droht Israel die fünfte Neuwahl in Folge. Rivlin kann diese Frist einmal um 14 Tage verlängern.
Lapid erklärte am Montag, er habe dem ehemaligen Verteidigungsminister Naftali Bennett und dessen religiös-nationalistischer Jamina-Partei angeboten, gemeinsam ein Regierungsbündnis mit rotierendem Vorsitz zu bilden. In dem Format könne Bennett zuerst das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen. Das "rücksichtslose" Auftreten Netanyahus vor Gericht sei ein weiterer Beleg dafür, dass der Likud-Chef "gefährlich" sei, sagte Lapid.