Wer gegen das Coronavirus geimpft ist, soll nach Plänen von Deutschlands Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bald Freiheiten zurückbekommen. "Wer vollständig geimpft wurde, kann in Zukunft wie jemand behandelt werden, der negativ getestet wurde", sagte Spahn der "Bild am Sonntag". Hintergrund sei eine Analyse des Robert-Koch-Instituts (RKI), wonach die Test- und Quarantänepflicht für vollständig Geimpfte zügig aufgehoben werden könne, berichtet das Blatt.

Wenn die dritte Welle der Corona-Pandemie gebrochen sei und weitere auf Schnelltests beruhende Öffnungsschritte wie beim Einzelhandel gegangen würden, käme diese Grundsatzentscheidung zum Tragen. "Wer geimpft ist, kann ohne weiteren Test ins Geschäft oder zum Friseur", sagte Spahn. Zudem müssten nach Einschätzung des RKI vollständig Geimpfte auch nicht mehr in Quarantäne.

Grundlage für die Pläne sei eine Auswertung jüngster wissenschaftlicher Erkenntnisse durch das RKI, schreibt das Blatt. In einem ihm vorliegenden Bericht an das deutsche Gesundheitsministerium heiße es: "Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig geimpft wurden, spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis geringer als bei Vorliegen eines negativen Antigen-Schnelltests bei symptomlosen infizierten Personen."

Umsetzung schon in den nächsten Wochen

Der RKI-Bericht wurde laut "BamS" am Samstag an die Bundesländer verschickt. Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte das Institut um eine Analyse gebeten, ob und wann die Einbeziehung Geimpfter in Testkonzepte "möglicherweise obsolet" wird. Spahn will die Test- und Quarantänebefreiung für Geimpfte zügig in den nächsten Wochen umsetzen. "Wir werden diese Erkenntnisse nun zeitnah in Gesprächen mit den Ländern in die Praxis bringen", sagte der Minister dem Blatt.

Zustimmung signalisierte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. "Ich unterstütze diesen Vorschlag, weil es sich gezeigt hat, dass Geimpfte sich nur noch selten anstecken und sie wahrscheinlich bei Ansteckung nicht mehr ansteckend für andere sind", sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Allerdings hob auch er hervor, solche Erleichterungen sollten erst bei vollständiger Impfung gelten, also in der Regel nach der zweiten Impfdosis.

Innenminister Horst Seehofer (CSU) betonte, die Corona-Regeln sollten einheitlich per Bundesgesetz verankert werden. "Dieses Gesetz sollte genau vorschreiben, welche Schritte bei den jeweiligen Inzidenzwerten unternommen werden müssten - von der Verschärfung bis zur Lockerung", sagte er der "Welt am Sonntag". Ein Bundesgesetz könne in kürzester Zeit beschlossen werden. "Da es wie alle Bundesgesetze durch den Bundestag und den Bundesrat verabschiedet würde, wäre auch größtmögliche Legitimation hergestellt, was die Opposition immer wieder gefordert hat."

Auch CSU-Chef Markus Söder plädierte für ein Bundesgesetz. Der "Bild am Sonntag" sagte Bayerns Ministerpräsident: "Um Corona effektiv zu bekämpfen, braucht es einen einheitlichen bundesweiten Pandemieplan anstelle eines Flickenteppichs mit unüberschaubaren Regeln in den einzelnen Bundesländern." Zudem sei zu überlegen, ob ein erneuter kurzer, aber dafür konsequenterer Lockdown nicht ein besserer Weg wäre als ein "halbherziges und dafür endloses Corona-Konzept, das die Zahlen der Neuinfektionen auch nicht wirklich reduziert hat".

Impfpflicht durch die Hintertür?

Kritik kam aus der AfD. Deren Bundestags-Fraktionschefin Alice Weidel warnte in Berlin vor einer "Impfpflicht durch die Hintertür". "Mit diesem Vorgehen sät die Bundesregierung einen Spaltpilz in die Gesellschaft" und es drohe eine "Zwei-Klassen-Gesellschaft", erklärte Weidel weiter. Sie forderte, Corona-Einschränkungen für alle Bürgerinnen und Bürger aufzuheben, egal ob diese getestet oder geimpft wurden oder auch nicht.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, wies darauf hin, dass Spahns Vorstoß sehr vage formuliert sei. So würden keine Kriterien genannt, wann die dritte Pandemie-Welle gebrochen sei und welche Zahl von Schnelltests als ausreichend gelte. Zudem lege sich auch das RKI in seiner Analyse nicht fest, wie hoch das Risiko sei, dass Geimpfte das Virus doch noch weitergeben können. Zudem bleibe ein europäischer Impf-Nachweis "immer noch in weiter Ferne".

Bisher sind nur gut fünf Prozent aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland vollständig geimpft. Ihre Zahl dürfte in den kommenden Wochen und Monaten jedoch deutlich steigen.

Briten wollen auch den "Grünen Pass"

Die britische Regierung will ebenfalls Impfnachweise einführen, damit Stadien, Kinos oder Nachtklubs mit möglichst niedrigem Corona-Risiko wieder für Besucher öffnen können. "Angesichts des Schlags, den das Nachtleben und die Unterhaltungsbranche im vergangenen Jahr hinnehmen mussten, müssen wir über alles nachdenken, was Betrieben helfen könnte, früher zu öffnen", schrieb der britische Staatsminister Michael Gove am Ostersonntag in einem Gastbeitrag im "Sunday Telegraph".

In Israel habe sich mit den sogenannten Grünen Pässen gezeigt, wie das öffentliche Leben mit solchen Zertifikaten wieder Fahrt aufnehmen könne, so Gove. Außerdem verlangten bereits einige Länder bei der Einreise entsprechende Nachweise.

Nutzer sollen per App - oder alternativem Papierdokument - nachweisen können, dass sie entweder gegen Corona geimpft oder negativ getestet sind. Bereits im April und Mai soll das Modell bei ausgewählten Veranstaltungen - etwa den Endspielen des FA Cups im Londoner Wembley-Stadion sowie einer Klubnacht und einem Kinoabend in Liverpool - getestet werden. Bis tatsächlich eine entsprechende App startklar ist, könnte es dem "Telegraph" zufolge jedoch noch Monate dauern. Premierminister Boris Johnson wollte am Ostermontag die Pläne für Impfpässe sowie für internationale Reisen genauer vorstellen.

Die Impfzertifikate sind auch in Großbritannien nicht unumstritten: So kritisierten nicht nur Vertreter der Opposition, sondern auch etliche Mitglieder aus Johnsons konservativer Tory-Partei die Pläne als diskriminierend und spaltend. Es gilt als wahrscheinlich, dass das Parlament einer Einführung zustimmen müsste.