Am Dienstag meldet sich Armin Laschet in Berlin zu Wort. "Wir werden das ändern. Wir werden das besser machen", versprach der CDU-Vorsitzende ein strikteres Corona-Management. Es war der Auftakt zur parteiinternen Debatte über das Programm für die Bundestagswahl im September. Doch irgendwie interessierte der Entwurf nur am Rande. Plötzlich ist unklar, ob Laschet die Union überhaupt als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führt. Zuletzt schien Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident die Kandidatur nicht mehr zu nehmen.
Doch am Sonntag schaltete sich die Kanzlerin ein und rügte Laschets Lockerungsübungen an Rhein und Ruhr. Er sei "zwar nicht der Einzige" schob Angela Merkel mit Blick auf Länder wie Berlin und Saarland hinterher. Aber als sich direkt nach Merkels Auftritt bei Anne Will auch noch Laschets Rivale Markus Söder in den Tagesthemen zu Wort meldete und die Kritik der Kanzlerin billigte, schien es wie ein kleiner Coup. Die Kandidatenfrage in der Union ist wieder offen. "Stand jetzt: Vorteil Söder", sagte ein hochrangiger FDP-Politiker dieser Zeitung. Ein Blick auf die Kontrahenten, Stärken und Schwächen und ihre Unterstützer.
Strauchelnder Favorit
Armin Laschet, 60, ist seit Jänner Vorsitzender der CDU. Mit einer fulminanten Rede überzeugte er die Basis und schlug Friedrich Merz aus dem Feld. Laschet steht für die alte Helmut-Kohl-Union. Nicht nur als Integrationsfreund in europapolitischen Fragen. Katholisch, Sohn eines Bergmanns, Jus-Studium, aus der europäischen Kaiserkrönungsstadt Aachen (er selbst führt seine Familie auf Karl den Großen zurück) – Laschet steht für die alte Bonner Republik, tief im Westen verankert, sozialpolitisch geerdet, aufstiegsorientiert. Manchen in Berlin scheint das zu nostalgisch. Laschets Vorteil: Er wird leicht unterschätzt. Und er kann warten. In Nordrhein-Westfalen ließ er 2012 Norbert Röttgen als Spitzenkandidat ran.
Fünf Jahre später löste Laschet die SPD an der Regierung ab. Auch nach Merkels Rückzug an der CDU-Spitze ließ Laschet 2018 zunächst anderen den Vortritt. Manche deuten das als Führungsschwäche. Andere als gewiefte Taktik: Im Januar kam er schließlich doch noch zum Zug. Der Tür zum Kanzleramt stand offen. Dann ließ zunächst die Maskenaffäre die Umfragewerte der Union einbrechen, auch in den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg stürzte die CDU ab. Schließlich machte Laschet in Corona-Fragen wieder auf locker. Schon im Vorjahr legten ihm das viele als Leichtigkeit aus.
Die CDU werde "darum kämpfen, dass das Kanzleramt in der Zukunft in der Zukunft von der Union gestellt wird. Das ist nicht Gott gegeben", sagte Laschet jetzt. Er redete zwar über aktuelle Umfragen und den Höhenflug der Grünen. Doch Beobachter registrierten schon, dass Laschet allgemein von der Union im Kanzleramt sprach, nicht von der CDU.
Der Rivale
Der Rivale: Markus Söder, 54, übernahm im März 2018 das Ministerpräsidentenamt in Bayern. Nur sechs Monate später führte er die CSU bei der Landtagswahl 2018 aus dem Umfragetief zurück in vertraute Wahlergebnishöhen. Der Mann kann Trends drehen. Eine Eigenschaft, die plötzlich viele schätzen in der Union. Söder hält sich in der Kandidatenfrage bedeckt. Er kennt die Geschichte. 1980 scheiterte sein Idol Franz Josef Strauß als Unionskandidat, 2002 sein Förderer Edmund Stoiber. CSU-Politiker haben es schwer außerhalb Bayerns. Aber auch die CSU hat daraus ihre Schlüsse gezogen: Erst Bayern, dann das Land. So schien es auch Söder zu halten, als seine Umfragewerte im Vorjahr durch striktes Corona-Management plötzlich stiegen.
Heimat und Machtbasis der Partei ist Bayern. Im Frühjahr änderte sich der Kurs. Söder giftete gegen die CDU-Minister Peter Altmaier und Jens Spahn. Eine Ablenkung vom schwächelnden CSU-Minister Andreas Scheuer mutmaßten manche. Der pokert schon um gewichtigere Ministerien für die CSU im nächsten Kabinett, analysierten andere. "Wer führen will und wer den Anspruch einer Nummer eins hat, der muss auch diesen Anspruch durch seine Arbeit rechtfertigen", sagte Söder nach den Landtagswahlen vor drei Wochen. Das Rennen war eröffnet. Der Mann steht bereit.
Die Partner
Laschet gilt seit seiner Zeit als Integrationsminister mit liberalem Kurs in Nordrhein-Westfalen als Vertreter von Schwarz-Grün. Doch hat sich das gewandelt. Die Grünen neiden ihm längst seine Kohlepolitik – nicht nur im Hambacher Forst. An Rhein und Ruhr regiert Laschet mit der FDP, ausgehandelt hat er den Koalitionsvertrag übrigens mit Christian Lindner. Die FDP wünscht sich Laschet. Markus Söder regiert in Bayern mit den Freien Wählern. Die sind wie die CSU. Ein Unikum. Bundespolitisch hat Söder lange mit den Grünen geflirtet, die jetzt aber als Hauptgegner ausgemacht. Auch Söder setzt auf die FDP. Er weiß: Ein Politiker aus Bayern und ein neues Bündnis wären vielleicht ein bisschen zu viel Neues für das Land. Jamaika könnten ohnehin Laschet und Söder. Und mittlerweile auch die FDP.
Die Unterstützer
Zu Wochenbeginn rumorte es. Mehrere junge Unionsabgeordnete aus den hinteren Reihen sprachen sich offen für Söder als Kanzlerkandidat aus. "Wir müssen mit dem antreten, mit dem wir nach Umfragen die besten Chancen haben, und das ist mit großem Abstand Markus Söder", sagte Abgeordnete Johannes Steiniger. Die Umfragewerte sind mies, das lässt nicht nur junge Unionspolitiker um ihre Wiederwahl fürchten. Aber ein Trend ist das mitnichten. Die CDU muss schon um ihrer Führungsstärke Willen auf Laschets Anspruch pochen. "Ich sehe im Moment keinen von Rang in der CDU, der sich offen für Markus Söder ausspricht", sagte der Politikanalyst Karl-Rudolf Korte der ARD. Das stimmt. Doch halten sich auch die Unterstützer öffentlich zurück. Das ist bedenklich.
Die Alternativen
Die Führungsfrage sei für die Union wichtig, für das Land komme es jetzt aber darauf an, die Corona-Pandemie einzudämmen, mahnte CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus. Der Mann hat recht. Er machte sich aber auch selbst zeitweise Hoffnung auf eine Kandidatur. Die Wahl im Herbst ist einmalig. Erstmals tritt in Deutschland kein amtierender Bundeskanzler an. Die SPD hat Olaf Scholz nominiert, steckt aber weiter unter 20 Prozent fest. Bei den Grünen ist die Führungsfrage ebenfalls noch offen. Sie oder er – Annalena Baerbock oder Robert Habeck, heißt es dort. Auch hier muss Favorit Habeck plötzlich zittern. Umfragen sind ohnehin Momentaufnahmen. Solange die Grünen die Spitzenkandidatenfrage aber nicht geklärt haben, sind die Umfragen wenig aussagekräftig.
Die Bilanz
Söder ist überraschend zurück im Spiel. Je länger die Vakanz dauert, umso gefährlicher für Laschet. Ein Vorziehen der Entscheidung bringe keinen Vorteil, warnte CSU Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und fügte mahnend hinzu: "Es braucht es einen Kanzlerkandidaten, der unsere Anhängerschaft, und zwar die gesamte Breite der bürgerlichen Mitte, am stärksten mobilisiert." Die CSU verspürt plötzlich Lust. Zwischen Ostern und Pfingsten soll die Entscheidung fallen, ließ Laschet schon länger verlauten. Jetzt steuerte er nochmal nach: "Ostern beginnt am Sonntag."
Zumindest über den Zeitplan bestimmt der CDU-Chef. Immerhin.