Die deutsche Bundeskanzlerin ließ keinen Zweifel. "Es war eine Handlung aus guten Gründen, die so nicht umsetzbar war", verteidigte Angela Merkel ihren Entschluss den Mini-Lockdown in Deutschland über die Osterfeiertage zurückzunehmen. Das war es aber auch, an Zugeständnissen. "Öffnen ist im Moment nicht das Gebot der Stunde", stellte Merkel am Sonntagabend in der Fernsehsendung "Anne Will" klar.

Die TV-Moderatorin hatte die Kanzlerin zum seltenen Einzelinterview in ihre Sendung gebeten. Will sprach von etwas "Bemerkenswertem", dass Merkel gemacht habe. Die deutsche Regierungschefin hatte in der Vorwoche einen Beschluss gekippt, den sie keine zwei Tage zuvor gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer gefasst hatte und sich dafür entschuldigt. Sie trage dafür "qua Amt" die Verantwortung, hatte Merkel erklärt und um Verzeihung gebeten.

Mea culpa, aber keine Kursänderung

Das Fehlereingeständnis in der Vorwoche machte Merkel ungemein menschlich und nötigte vielen Respekt ab. Es machte die Kanzlerin aber auch ungemein angreifbar. Atomausstieg, Aussetzen der Wehrpflicht, Homo-Ehe– die Liste der strittigen Entscheidungen in ihrer langen Kanzlerschaft ist lang.Von Eurokrise und Flüchtlingspolitik ganz zu schweigen. Das freimütige Eingeständnis der vergangenen Woche zeigt nun: Auch die Kanzlerin kann ex cathedra irren. Manch einer ihrer Gegner wähnt sich deshalb auch in seiner Kritik auf anderen Politikfeldern
bestätigt.

Merkel stellte am Sonntag klar: Ihre Fehlerkorrektur bezog sich allein auf die sogenannte Osterruhe, er stellt aber mitnichten eine Kursänderung ihrer Corona-Politik dar. Die Kanzlerin hält an ihrem strikten Kurs in der Pandemie fest. "Notbremse, Ausgangsbeschränkungen, Teststrategie", erläuterte Merkel ihr Vorgehen gegen die rasante Ausbreitung der britischen Variante des Erregers und ging zum Gegenangriff über. Sie sei noch nicht "am Ende" ihrer Überlegungen angekommen, drohte den Ländern notfalls mit dem Infektionsschutzgesetz und damit mit einem harten Durchgreifen des Bundes. Von einer "Zäsur" sprach Merkel.

CSU-Chef Markus Söder, zugleich Regierungschef des auf seine Eigenständigkeit stets bedachten Freistaats Bayern, deutete noch am Abend in den ARD-Tagesthemen seine Zustimmung zu mehr Befugnissen für den Bund an.

Tadel für Armin Laschet

Söder kämpft derzeit mit dem CDU-Chef Armin Laschet um die Kanzlerkandidatur der Union. Umso mehr überraschte ein öffentlicher Tadel der Kanzlerin. Deren Unmut richtete sich nämlich namentlich auch
gegen den nordrhein-westfälischen Regierungschef und Nach-Nachfolger im Amt des CDU-Vorsitzenden Armin Laschet. "Er ist aber nicht der Einzige", sagte Merkel zwar mit Blick auf Saarlands Regierungschef Tobias Hans (CDU), der nach Ostern Lockerungen in seinem Bundesland in Aussicht gestellt hatte. Das machte es aber nicht besser. Merkel steht – wie im Vorjahr – an der Seite Söders. Zumindest in Fragen der Corona-Strategie.

Die Kanzlerin verliert die Geduld mit den Ländern. Unterstützung erhält sie nicht allein von Söder. Baden-Württembergs Landesvater Winfried Kretschmann (Grüne) hatte am Sonntag gar eine neuerliche Konferenz der Ministerpräsidenten angemahnt. Merkel lehnte ein Treffen noch vor Ostern ab, mahnte aber an die Umsetzung des Beschlossenen. "Der Instrumentenkasten ist da."

Merkel macht von der Leyen die Mauer

Angesichts steigender Inzidenzen dringt die Kanzlerin zu einem harten Vorgehen. Auch auf europäischer Ebene. Ausdrücklich verteidigte Merkel Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, deren Krisenmanagement gerade bei der Impfstoffverteilung auch von Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz gerügt worden war. (Die Kommissionschefin "braucht nicht meinen Schutz".)

Merkel wandte sich gegen eine stillschweigende Rollenverteilung in Deutschland zwischen Bund und Ländern. "Die Kanzlerin ist streng, da können wir etwas lockerer sein." Dieser Mechanismus hatte sich schleichend eingespielt. Wo die Ministerpräsidenten linear dachten, wusste die Physikerin Merkel die Infektionszahlen stets exponentiell richtig zu deuten. So konnte sie zuwarten, bis die steigenden Corona-Zahlen ihre Forderungen nach einem  harten Vorgehen bestätigten.

Doch mit Blick auf die britische Variante drängt die Zeit. Auch
Gesundheitspolitiker wie Karl Lauterbach (SPD) sprechen sich längst für einen dritten Lockdown aus. Merkel sprach dieses Wort nicht aus und formulierte diplomatischer: "Wir sind verpflichtet, durch das Infektionsschutzgesetz, die Zahlen einzudämmen." Die Strategie der Kanzlerin ist also klar: Die Osterruhe ist Geschichte. Aber entweder setzen die Länder die beschlossenen Maßnahmen um. Oder der Bund greift durch.

Als "alternativlos" hatte Merkel ihr Vorgehen gern umschrieben. In der Corona-Krise hat sie dieses Wort nie benutzt. Von "unverzichtbar" sprach Merkel vor einem Jahr in ihrer Fernsehansprache, vielleicht eine der besten Reden ihrer Kanzlerschaft. Am Sonntag bei Anne Will wiederholte Merkel ihre Botschaft aus dem Vorjahr. "Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst." Merkel ist nun bereit durchzugreifen.