Begleitet von einem großen Polizeiaufgebot hat es in Belarus (Weißrussland) erneut Proteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko gegeben. Dabei gingen Sicherheitskräfte am Samstag bei Festnahmen teilweise brutal vor, wie auf Fotos und Videos zu sehen war. Das Menschenrechtszentrum Wesna listete bis zum Nachmittag die Namen von mehr als 100 Festgenommenen auf.
Tichanowskaja hofft auf Hilfe aus Österreich
Die weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja wünscht sich mehr Unterstützung von Österreich, dem sie eine zentrale Rolle im politischen Übergangsprozess in ihrem Land beimisst. "Bekanntlich unterhält der österreichische Präsident gute Beziehungen mit vielen Staaten. Er könnte durchaus aktiver für unsere Verhandlungen eintreten", sagte Tichanowskaja der "Presse am Sonntag" mit Blick auf Bundespräsident Alexander Van der Bellen.
Van der Bellen hatte den umstrittenen weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko vor einem Jahr zu einem viel beachteten Besuch in Wien empfangen, wenige Monate vor dem Beginn der Massenproteste gegen die durch Wahlbetrug erfolgte Wiederwahl des Machthabers. Van der Bellen rechtfertigte den Empfang für Lukaschenko damit, "dass Österreich durchaus wirtschaftliche Beziehungen auch zu Belarus hat" und "von maßgeblicher Seite an uns der Wunsch herangetragen wurde, Präsident Lukaschenko nach Wien einzuladen".
A1 und Raiffeisen
Die weißrussische Oppositionsführerin forderte, dass sich Österreich auch in wirtschaftlicher Sicht "klarer äußern" sollte. "Der Telekommunikationsanbieter A1 wird in Belarus gezwungen, das Internet abzuschalten. Redet offen darüber! Sonst wird der Provider einen Vertrauensverlust in Belarus erleiden. Die Raiffeisenbank sollte nicht mit staatlichen Strukturen zusammenarbeiten. Ja, das bedeutet finanzielle Verluste - aber wie schwer wiegen sie angesichts von Millionen Leben? Wo sind da die europäischen Werte? Jeder muss bei sich selbst anfangen", appellierte Tichanowskaja.
Tichanowskaja berichtete, dass sie mit Bundeskanzler Sebastian Kurz, Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) sowie "einem Vertreter des Präsidenten" gesprochen habe. Sie hob die besondere Rolle Österreichs bei den Bemühungen um eine Verhandlungslösung in Weißrussland hervor. "Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat ihren Sitz ja in Wien, alle zukünftigen Verhandlungen gehen über Wien. Wien wird also in diesen Prozess eingebunden sein", sagte sie.
Mit ihrem Team schlage sie weiterhin einen friedlichen Ausweg aus der Krise vor. "Wir fordern Verhandlungen unter internationalem Vorsitz", sagte sie. Der Fall Lukaschenkos sei "ein unausweichlicher Prozess". "Unsere Revolution - oder Evolution - die kriegen wir hin", versicherte sie. Lukaschenko könne die Krise verlängern, "aber der Preis wird immer höher".
Ihrem russischen Kollegen Sergej Nawalny zollte Tichanowskaja Anerkennung für den "Mut", in sein Land zurückzukehren. "Er hat den Weg des Kampfes gegen das System gewählt. Das ist zu würdigen." Auf die Frage, ob sie selbst über eine Rückkehr nachgedacht habe, antwortete Tichanowskaja: "Wenn ich zurückkehre, würde ich wohl ebenfalls verhaftet werden. Ich kann in Freiheit mehr tun als im Gefängnis. Momentan sehe ich das zumindest so."