Nach massiver Kritik und Verwirrung um den geplanten Corona-Lockdown, der als "Osterruhe" bezeichnet wurde, hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel diese Regelung aus den jüngsten Bund-Länder-Beschlüssen wieder gekippt. Sie übernehme dafür die Verantwortung, wurde Merkel von Teilnehmern einer kurzfristig einberufenen Schaltkonferenz mit den Ministerpräsidenten am Mittwoch zitiert. "Der Fehler ist mein Fehler", sagte Merkel demnach.
Sie habe am Vormittag entschieden, die Verordnungen zur Osterruhe nicht auf den Weg zu bringen, sondern zu stoppen. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass zu viele Folgeprobleme entstanden wären, hätte man - wie beschlossen - den Gründonnerstag und Karsamstag zu Ruhetagen erklärt. Aufwand und Nutzen stünden in keinem guten Verhältnis, wurde Merkel von Teilnehmern der völlig überraschend einberufenen Runde mit den Länderregierungschefs zitiert. Dem Vernehmen nach drückten die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten ihren Respekt für die Kanzlerin aus und betonten die gemeinsame Verantwortung.
Kommentar von Thomas Golser
Opposition kritisiert Merkel nach Rücknahme von "Osterruhe"
Nach der Rücknahme der Verschärfung des Lockdowns über Ostern kommt von der deutschen Opposition massive Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die liberale FDP und die Linke forderten, dass Merkel im Deutschen Bundestag die Vertrauensfrage stellen solle. Die Grünen schlossen sich der Forderung nicht an, sondern zollten Merkel für das Eingeständnis des Fehlers Respekt. Scharfe Kritik kam auch von der rechtspopulistischen AfD.
FDP-Chef Christian Lindner erklärte am Mittwoch im Kurznachrichtendienst Twitter: "Die Bundeskanzlerin kann sich der geschlossenen Unterstützung ihrer Koalition nicht mehr sicher sein." Daher wäre die Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag "ratsam, um die Handlungsfähigkeit der Regierung von Frau Merkel zu prüfen". Auch Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sprachen sich dafür aus, dass Merkel im Bundestag die Vertrauensfrage stellen solle. Konsequente Pandemiebekämpfung gehe nur, wenn die Kanzlerin das Vertrauen der Mehrheit des Parlaments genieße, so Bartsch.
Die Grünen schlossen sich Forderungen nicht an. "Das Virus lässt sich auch von populistischen Wahlkampfspielen wie der Vertrauensfrage nicht aufhalten", sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt am Mittwoch. Es brauche vielmehr von allen Seiten ernsthafte Bemühungen, aus der Krise zu kommen. "Einen Fehler einzuräumen, verdient Respekt", so Göring-Eckardt mit Blick auf die Entscheidung Merkels, die umstrittene "Osterruhe" zurückzunehmen. Allerdings bleibe eine noch tiefere Vertrauenskrise. "Das Corona-Krisenmanagement der Regierung ist gescheitert."
Die rechtspopulistische AfD kritisierte das gesamte Krisenmanagement Merkels. "Das Chaos ist perfekt. Gestern so, heute anders, niemand weiß mehr was gilt", sagte Fraktionschefin Alice Weidel am Mittwoch in Berlin. Merkel übernehme die Verantwortung, aber keiner wisse, wie diese Verantwortung aussehe. Die Entscheidung zeige eine "Bunkermentalität" der Kanzlerin, die sich mit ihrer "Entourage" vom normalen Bürger und der Arbeitswelt entfernt habe. Weidel forderte für die AfD-Fraktion eine sofortige Beendigung des Lockdowns und eine sofortige Öffnung aller Schulen und Kindergärten, um "Normalität in unser Leben zurückzubringen".
Nach den Beschlüssen der Bund-Länder-Runde hatte sich Unmut vor allem daran entzündet, dass trotz fast zwölfstündiger Beratungen die Umsetzung zentraler Punkte noch offen war. Vorgesehen war, dass der Donnerstag und Samstag in Deutschland Ruhetage ähnlich wie Sonn- oder Feiertage sein sollten. Am Gründonnerstag sollte das gesamte wirtschaftliche Leben ruhen, am Karsamstag lediglich der Lebensmittelhandel im engeren Sinn öffnen können.
Die Zahlen steigen
Die Debatte ist bestimmt von steigenden Zahlen an Neuinfektionen und der Warnung etwa des Robert-Koch-Instituts, dass die Zahlen auch wegen der Ausbreitung ansteckenderer Virus-Varianten bis Ostern sehr stark steigen könnten. Das RKI meldete erneut höhere Zahlen an Corona-Neuinfektionen. Am Mittwoch lagen sie mit 15.813 um 2378 Fälle über dem Wert der Vorwoche. Die Sieben-Tage-Inzidenz verharrte dagegen bei 108,1 im Vergleich zum Vortag. Der Wert gibt an, wie viele Menschen je 100.000 Einwohner sich in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt haben.
"Die Lage ist immer noch dramatisch und wir müssen den Lockdown verlängern", sagte CDU-Chef Armin Laschet. "Wenn das weiter so anhält wie im Moment, werden wir nach Ostern weit über 200er Inzidenz sein und wir werden dann wieder an die Grenze der Belastbarkeit des Gesundheitswesens kommen."
Nach RKI-Angaben sind 248 weitere Menschen binnen 24 Stunden in Verbindung mit Covid-19 gestorben. Damit erhöht sich die Zahl auf 75.212. Insgesamt wurden bisher mehr als 2,69 Millionen Menschen in Deutschland positiv auf das Coronavirus getestet. Die Zahl der in Krankenhäusern registrierten Corona-Intensivpatienten war am Dienstag laut Divi Register auf 3.159 gestiegen.
Die Lage ist regional sehr unterschiedlich - was auch die schwierige Diskussionslage unter den 16 Länderchefinnen und -Chefs erklärt. Neun Länder haben laut RKI eine Inzidenz von über 100, Thüringen von 210. In Sachsen an der tschechischen Grenze ist die Zahl der Neuinfektionen binnen einer Woche auf mehr als 150 geklettert. Vor allem die Landkreise in Sachsen und Bayern an der Grenze zu Tschechien weisen sehr hohe Werte auf. Dagegen meldete das Saarland eine Inzidenz von 55,5 und Schleswig-Holstein von 58,4. Die Küstenländer hatten zuletzt Urlaub im eigenen Bundesland in Ferienwohnungen vorgeschlagen, was aber auf Widerstand anderer Länder und der Bundesregierung stieß.