Nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen bei der Parlamentswahl in Israel hat sich die Lage von Regierungschef Benjamin Netanyahu weiter verschlechtert. Sein rechtskonservativer Likud bleibt zwar mit 30 Mandaten die stärkste politische Kraft, aber selbst mit seinem ultrarechten Rivalen Naftali Bennett von der Yamina-Partei käme sein Lager nur auf 59 von 120 Mandaten. Die arabische Partei Raam schafft die 3,25-Prozent-Hürde und ist nun Zünglein an der Waage.
Raam erhält demnach fünf Mandate. Auf Platz zwei kam mit 18 Sitzen die Zukunftspartei des Oppositionsführers Yair Lapid. Das Anti-Netanyahu-Lager erzielte 56 Sitze.
Die Bildung einer Regierung dürfte grundsätzlich für das Anti-Netanyahu-Lager äußerst schwierig werden - manch potenzielle Koalitionäre liegen inhaltlich weit auseinander. Eine fünfte Wahl noch in diesem Jahr ist deshalb weiterhin nicht auszuschließen.
Endergebnis erst am Freitag
Das Bild kann sich jedoch bis Auszählung aller Stimmen, mit der nicht vor Freitag gerechnet wird, noch verschieben. Aktualisierte Prognosen von drei Fernsehsendern zeigten in der Nacht eine Pattsituation zwischen beiden Lagern oder sogar einen leichten Vorteil des Lagers, das Netanyahu ablösen will.
Die Bildung einer Regierung dürfte grundsätzlich für das Anti-Netanjahu-Lager äußerst schwierig werden - manch potenzielle Koalitionäre liegen inhaltlich weit auseinander. Eine fünfte Wahl noch im Sommer ist deshalb weiterhin nicht auszuschließen
Netanyahu sprach sich in einer Ansprache in der Nacht gegen eine weitere Wahl aus und rief zur Bildung einer stabilen Regierung auf. Dabei schließe er niemanden als potenziellen Koalitionspartner aus, sagte der 71-Jährige.
Frage der Koalition
Eine Regierungsbildung hängt davon ab, ob sich die rechte, siedlerfreundliche Yamina-Partei auf Netanyahus Seite schlägt. Deren Vorsitzender Naftali Bennett war zwar mit dem Ziel in den Wahlkampf gegangen, Netanyahu abzulösen. Er hat allerdings auch nicht ausgeschlossen, in eine Koalition mit diesem einzutreten. Bennett sagte am Wahlabend in einer ersten Reaktion: "Ich werde nur das tun, was für den Staat Israel gut ist."
Wegen der coronabedingten Umstände der Wahl dauert es diesmal länger, bis ein vorläufiges Endergebnis feststeht. So soll die Auszählung der sogenannten doppelten Umschläge mit Stimmen von Soldaten, Diplomaten, Häftlingen und Corona-Kranken erst Mittwochabend beginnen. Einem Medienbericht zufolge wird sich deren Zahl, die bei der Wahl vor einem Jahr noch 330.000 betragen hatte, diesmal fast verdoppeln. Dies entspricht demnach etwa 15 der 120 Mandate.
Seit 2009 Ministerpräsident
Netanyahu ist seit 2009 durchgängig Ministerpräsident und der am längsten amtierende Regierungschef des Landes. Viele junge Israelis kennen keinen anderen. Im Wahlkampf wollte Netanyahu mit der Annäherung Israels an arabische Golfstaaten punkten. Darüber hinaus präsentierte er sich als Urheber der rasanten Impfkampagne in dem Land.
"Netanyahus Wahlsieg kam vom Impfprogramm", analysierte die "Jerusalem Post" das Wahlergebnis am Dienstagabend. "Pfizers Impfstoffe retteten Israel - und retteten unbeabsichtigterweise auch den Premierminister."
Politische Dauerkrise
Israel befindet sich seit mehr als zwei Jahren in einer politischen Dauerkrise. Nach zwei Wahlen 2019 war es Netanyahu nicht gelungen, eine Regierung zu bilden. Nach der Wahl 2020 hatten er und sein Likud unter dem Eindruck der Corona-Krise eine Koalition mit dem Mitte-Bündnis Blau-Weiß gebildet, sie zerbrach jedoch im Dezember an einem Budgetstreit.
Nach einem Raketenangriff aus dem Gazastreifen am Tag der Parlamentswahl griff Israels Armee in der Nacht auf Mittwoch Ziele in dem Palästinensergebiet am Mittelmeer an. Die Luftwaffe hätte einen Militärposten der dort herrschenden islamistischen Hamas sowie eine Werkstatt zur Herstellung von Raketen beschossen, teilte die Armee mit.