Seit Ende 2020 ist klar, dass Israel wieder einmal der größte Schurke der Welt ist: 17-mal hat die UN-Generalversammlung den Judenstaat in Resolutionen verurteilt, während Nordkorea, der Iran, Syrien, Myanmar und auch Russland es gemeinsam nicht einmal auf die Hälfte der Beanstandungen gebracht haben. Dies ist keine statistische Besonderheit, sondern seit Jahren international geübte Praxis.

Israel scheint der Sünder unter den Nationen, mit dessen Brandmarkung sich Schurkenstaaten selbst exkulpieren, wenn sie Jesiden, Kopten und Kurden blutig verfolgen. Dass Israel Hurrikan-Opfern in Honduras half, in Äthiopien Kräfte ausbildete, die gegen die Heuschreckenschwärme im Einsatz waren, oder Ärzte nach Gaza schickt, um Langzeiterkrankten Hilfe zu leisten, wird international nicht registriert. Israel bleibt der Quell alles Bösen, gegen gegen man ohne Sanktionen vorgehen zu können scheint. Das gilt nicht nur politisch, sondern auch kulturell. So schrieb die UNO in mehreren Resolutionen ausschließlich den muslimischen Anspruch auf Jerusalem fest und ignorierte die jüdische Historie völlig.


Das veranlasste Donald Trump in seiner Hauruck-Politik dazu, ein Gegengewicht zu schaffen, indem er die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegte und die Bestrebungen von Premier Bibi Netanjahu stärkte, die Siedlungstätigkeit auszuweiten und Teile des Westjordanlands zu annektieren. Das nahm Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas zum Anlass, alle Verbindungen zu Israel abzubrechen. Der Bruch war so radikal, dass man sogar die Annahme von über 700 Millionen Euro an Steuern verweigerte, die Israel für die Palästinenser eingehoben hatte, was zu einer weiteren Verarmung der Araber führte, die durch Covid-19 massiv verstärkt wurde.

42.000 Dollar BIP zu 3200 Dollar BIP

Tatsächlich waren die Unterschiede zwischen der jüdisch-israelischen und der palästinensischen Gesellschaft schon vor der Krise enorm. So betrug das BIP der Israelis 2019 pro Person etwa 42.000 Dollar, jenes der Araber lag bei dürftigen 3200. Die Politik protestierte zwar weltweit gegen die Annexionspläne Netanjahus, und die in den seit 1967 von Israel besetzten Gebieten des Westjordanlandes lebenden Araber tun das natürlich auch.

Aber nicht selten äußern sie sich hinter vorgehaltener Hand gegenteilig. Sie sind der Versprechungen beider Konfliktparteien müde, die ihnen nach Jahrzehnten noch immer keine Eigenstaatlichkeit, keine Sicherheit und nur eine sehr geringe soziale Absicherung brachten. Und so hoffen sie durch die politisch freilich nicht willkommene Angliederung an Israel wenigstens auf eine soziale Besserstellung, wie sie die Araber Ostjerusalems genießen, die das Recht auf Behandlung in den besten jüdischen Kliniken haben.

Die Frage, die bleibt: Räumt man den Not leidenden Menschen mehr Hilfe ein, oder hofft man auf die Etablierung staatlicher Strukturen, die so rasch nicht kommen wird? Nicht einmal die Palästinenser selbst glauben mehr daran. So verkündete Sari Nusseibeh, ehemaliger Direktor der arabischen Al-Quds-Universität und Arafat-Berater, bereits vor Jahren, dass die Zwei-Staaten-Lösung politisch nicht mehr umzusetzen sei. Aber Europa, das im Nahen Osten aus historischen Gründen ein schlechtes Gewissen hat, hält weiter daran fest.

Die Frage der Flüchtlingdefinition

Diese Fixierung macht es bequem, Forderungen an Israel zu stellen, ohne sich darum kümmern zu müssen, dass das Problem der Palästinenser nicht kleiner, sondern immer größer wird. Der Grund dafür liegt in der Flüchtlingsdefinition. Diese besagt, dass Araber, die zwischen dem 1. Juni 1946 und dem 15. Mai 1948 in Palästina lebten und durch die Gründung Israels ihren Wohnsitz verloren, als Flüchtlinge anerkannt werden und vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNWRA) betreut werden.

Nach biologischen Gesetzen sollte sich das Problem der 48er-Flüchtlinge von selbst lösen, stattdessen nimmt es aber beständig zu. Denn die UN-Definition schließt neben den tatsächlich Geflüchteten deren männliche Nachkommen mit ein. Betrug die Zahl der als Flüchtlinge registrierten Palästinenser ursprünglich 730.000 betrug, so liegt sie heute bei mehr als 5,6 Millionen. Und sie wächst bei einer Geburtenrate von 3,86 von Tag zu Tag. Die Palästinenser haben mit der "Vererbung" global einen Sonderstatus, der sonst keinem von UN -betreuten Flüchtling zusteht.

Ungleichgewicht der Erinnerungen

Dazu kommt ein Ungleichgewicht in der Erinnerung. Der 900.000 Juden, die aus der arabischen Welt und dem Iran in den 1950er-Jahren vertrieben wurden, gedenkt außerhalb Israels kaum jemand. Sie hatten auch nie den Status von Flüchtlingen. Doch Israel integrierte sie, was viele arabische Länder den Palästinensern verweigern. Ganz im Gegenteil. Das Problem wird – wie im Libanon – künstlich aufrechterhalten. Dort existiert eine lange Liste von Berufen, die Palästinenser „zum Schutz der Libanesen“ nicht ergreifen dürfen. Und unter den reichen Golfstaaten gibt es immer noch welche, die Palästinensern nur Arbeitsverträge auf Zeit geben.

Die Palästinenser machen es Israel einfach. Jerusalem argumentiert: Solange die Hamas sich unsere Vernichtung auf die Fahnen heftet, sehen wir keinen Grund, Gespräche zu führen. Tatsächlich feuerte die Hamas seit ihrer Machtübernahme 2007 Tausende Raketen auf Israel. Verurteilungen der muslimischen Fundamentalisten vor der UNO werden stets verhindert.

Jahrzehntelang galt in der arabischen Welt, dass kein Staat mit Israel Gespräche aufnehmen dürfe, solange die Palästinenserfrage nicht geklärt sei. Als Anwar Sadat 1977 diese Doktrin unterlief und nach Jerusalem reiste, wurde Ägypten von der Arabischen Liga schärfstens verurteilt und auf Jahre hin ausgeschlossen. Mittlerweile ist von Sanktionen keine Rede mehr. Dubai, Bahrain, Marokko und der Sudan haben Verträge mit Israel abgeschlossen. Weitere arabische Länder dürften folgen. Und außer den Palästinensern, die wieder einmal als Verlierer dastehen, protestierte niemand dagegen.

Israel hat sich in der Palästinenserfrage verhärtet. Sichtbares Zeichen dafür ist die mehr als 700 Kilometer lange Sperranlage, die ab 2002 als Reaktion auf die Selbstmordattentate während der Zweiten Intifada erbaut wurde. Neben der wirtschaftlichen Isolation der Palästinenser und der Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit hat sie vor allem zur Stärkung der gegenseitigen Feindbilder geführt. Die Palästinenser sehen in vielen Israelis nur die Aggressoren, diese wiederum haben keine Ahnung, wie sehr die Araber unter ihrer Situation leiden.

Dabei hätten es die Palästinenser nach Jahrzehnten in schwierigen Verhältnissen verdient, ein Leben in Würde neben Israel zu führen. Dafür bedürfte es allerdings mehrerer Voraussetzungen: Die Palästinenser müssten politisch ohne Indoktrinierung zu Hass und Gewalt geführt werden und lernen, dass es nicht ausreicht, auf Maximalforderungen zu bestehen und alle Friedensangebote abzulehnen. Und man müsste sie aus dem Status der ewigen Almosenempfänger befreien.

Israel hingegen müsste man entdämonisieren und international aus der Rolle des Buhmanns herausholen, was nur zu Verhärtungen im Judenstaat führt. Aber bis auf Weiteres wird es wohl so sein, dass die Staatengemeinschaft Israel als den Juden unter den Staaten der Welt für alle Fehlentwicklungen im Nahen Osten verantwortlich macht. Das aber wird den Konflikt nicht lösen.