Black lives matter: Der ehemalige Polizist Derek Chauvin steht seit heute in Minneapolis  für den mutmaßlichen Mord an George Floyd vor Gericht verantworten. Fast ein Jahr nach der Tötung des Afroamerikaners  bei einem Polizeieinsatz in den USA beginnt heute das Hauptverfahren gegen den weißen Ex-Polizisten. Ihm wird unter anderem Mord zweiten Grades vorgeworfen, worauf im Staat Minnesota bis zu 40 Jahre Haft stehen. Die Verhandlung hat heute um 16 Uhr unserer Zeit unter schweren Sicherheitsvorkehrungen in der Stadt Minneapolis begonnen.

"Was George Floyd getötet hat, war eine Überdosis an exzessiver Gewalt", sagte Ben Crump am Montag dem Nachrichtensender CNN. Er rechne damit, dass die Verteidiger des angeklagten Ex-Polizisten Derek Chauvin vor Gericht versuchen werden, Floyds Ansehen in Verruf zu bringen. Die Tatsache, dass Rückstände von Drogen in dessen Blut gefunden wurden, lenke jedoch nur von der eigentlichen Todesursache ab: Dass Chauvin sein Knie minutenlang in Floyds Nacken gepresst habe.

"George Floyd war am Leben, er atmete, lief und sprach ganz normal, bis die Polizei ihn mit dem Gesicht nach unten gedrückt hat, ihm Handschellen angelegt hat und 8 Minuten und 46 Sekunden lang ein Knie in seinen Hals gedrückt hat", sagte Crump bei einer Pressekonferenz vor dem Gerichtsgebäude.

Das Gericht hatte vergangene Woche die Auswahl der Geschworenen abgeschlossen. Das Hauptverfahren wird live übertragen. Die Geschworenen, die letztlich über Chauvins Schuld oder Unschuld befinden, sollen dabei aber nicht gezeigt werden. Ihre Identität wird aus Sicherheitsgründen bis auf Weiteres geheim gehalten. Zwei der 14 Jury-Mitglieder gelten als Ersatzkandidaten, am Schluss werden also nur zwölf das Urteil fällen. 

Die Jury-Auswahl war höchst komplex: Die Geschworenen müssen unvoreingenommen in die Hauptverhandlung gehen. Allerdings ist über Floyds Tod am 25. Mai 2020 und das Vorgehen des angeklagten Ex-Polizisten so umfassend berichtet worden, dass Unvoreingenommenheit eine Illusion ist.

"Das ist kein schwieriger Fall", erklärte der Anwalt Ben Crump, der Floyds Familie vertritt. "George Floyds Tod wurde von mehr Menschen bezeugt als jeder andere, weiß oder schwarz. Wir haben alle das Gleiche gesehen: Den unwiderlegbaren und nicht zu rechtfertigenden Mord an einem schwarzen Mann durch einen Polizeibeamten", schrieb Crump auf Twitter.

Anwalt Ben Crump
Anwalt Ben Crump © AP

Richter Peter Cahill geht davon aus, dass das Hauptverfahren bis zu einem Monat dauern könnte. Die Erwartungen an das Verfahren sind groß, denn Floyds Schicksal hatte in den USA mitten in der Corona-Pandemie monatelang zu Massenprotesten gegen Polizeigewalt und Rassismus geführt.

Friedlicher Protest

Bringt der Prozess den Kampf gegen die Diskriminierung von Afroamerikanern in den USA voran? Schon im Vorfeld wurde - friedlich - für Gerechtigkeit protestiert.

Paul Butler, ehemaliger US-Staatsanwalt und Professor der renommierten Georgetown-Universität in Washington, weist in der "Washington Post" auf die grundsätzliche Schwierigkeit bei Verurteilungen von Polizisten in den USA hin. Butler, selbst Afroamerikaner, spricht von einer „blauen Mauer des Schweigens“ - in Anspielung auf die blauen Uniformen der Polizisten. 

Die Kooperation von Polizisten, die bei derartigen Fällen oft die Hauptzeugen sind, sei in der Regel „unkooperativ bis feindlich“, sagt Butler. Dies gelte sogar für die Geschworenen, die letztlich über den Schuldspruch entscheiden. „Selbst, wenn die Geschworenen davon überzeugt sind, dass eine Straftat begangen wurde, verurteilen sie den Angeklagten oft nur widerwillig, weil sie denken, dass es unfair sei, einen Polizeibeamten zu verurteilen, der Fehler beging, als er versuchte, seinen Job zu machen", führt Paul Butler aus.

Vor dem Gericht in Minneapolis wird seit Tagen immer wieder - friedlich - demonstriert
Vor dem Gericht in Minneapolis wird seit Tagen immer wieder - friedlich - demonstriert © AFP

Prozessbeginn

Anfang März gab es in Minneapolis bereits Vorverhandlungen gegen jenen Polizisten, unter dessen Knie der Afroamerikaner George Floyd starb. Dass der angeklagte Polizist Derek Chauvin  schon in der Vergangenheit Härte und Unnachgiebigkeit zur Schau trug, zeigen Recherchen der „New York Times“. Die Organisation "Communities Against Police Brutality" trug knapp zwei Dutzend Beschwerden über den 44-jährigen Beamten zusammen. Vermerkt wurden Zwischenfälle mit „abfälliger Sprache“ oder „herablassendem Ton“, die zu mündlichen Ermahnungen führten, zweimal schickte man Chauvin allerdings auch eine schriftliche Verwarnung.

"Ich kann nicht atmen"
"Ich kann nicht atmen" © AFP

Doch seine Unerschrockenheit in brenzligen Situationen brachte dem seit fast 20 Jahren im Einsatz stehenden Polizisten auch Respekt ein. Für Festnahmen bewaffneter Bandenmitglieder, Einsätze bei häuslicher Gewalt und die Überwältigung eines Verdächtigen, der ihn mit einer Schrotflinte bedrohte, wurde Chauvin belobigt und mit Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet.

Polizist entlassen

Am 26. Mai 2020, einen Tag nach George Floyds Tod, wurde er schließlich entlassen. An diesem Tag reichte auch seine Frau seine Scheidung ein. Sie könne nach der Tat ihres Mannes nicht mehr mit ihm zusammenleben, hatte sie US-Medien erklärt.

Derek Chauvin rechts auf dem Plakat eines Demonstranten
Derek Chauvin rechts auf dem Plakat eines Demonstranten © AFP

Hunderte Demonstranten

Das Gericht in Minneapolis war schon Anfang März mit Betonsperren und Zäunen abgeriegelt. Rund um das Gebäude versammeln sich seit damals zwischendurch immer wieder Dutzende Demonstranten, die Gerechtigkeit für George Floyd forden. Bei einem Protest skandierten Demonstranten  "Keine Gerechtigkeit, kein Friede". In der Stadt war es nach Floyds Tod zu massiven Ausschreitungen gekommen, zahlreiche Geschäfte und eine Polizeiwache gingen in Flammen auf.

Die Stadt Minneapolis hatte sich kürzlich wegen des Vorgehens der Polizei mit Floyds Familie auf eine Vergleichszahlung in Höhe von 27 Millionen US-Dollar (rund 23 Millionen Euro) geeinigt.

Den übrigen drei an dem Einsatz gegen Floyd beteiligten Ex-Polizisten wird Beihilfe zur Last gelegt. Sie werden in einem separaten Verfahren ab 23. August vor Gericht stehen. Auch ihnen könnten im Fall einer Verurteilung langjährige Haftstrafen drohen.