Selten hat ein Bericht, dessen Inhalt ohnehin keine Überraschung war, so für Aufsehen gesorgt. Der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman hat die Operation zur Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 nach Einschätzung der US-Geheimdienste genehmigt. Das geht aus einem Bericht hervor, den das Büro der neuen US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines nun veröffentlicht hat. Schon gleich nach der bestialischen Ermordung waren die Vermutungen in diese Richtung gegangen. Die Einschätzung, zu Papier gebracht, wiegt jedoch um einiges schwerer. Das gedruckte Wort hat Gewicht. Unmittelbar danach kündigte US-Außenminister Antony Blinken an, Einreisebeschränkungen gegen 76 Bürger Saudi-Arabiens zu verhängen. Mohammed bin Salman, allgemein „MbS“ genannt, ist freilich nicht darunter. Die USA wollen ihre strategische Partnerschaft mit Saudi-Arabien nicht so einfach aufkündigen. Einerseits ist man vom Öl abhängig, andererseits gehören die Saudis zu den größten Abnehmern der Rüstungsindustrie in den USA.


Einen dunklen Fleck auf bin Salmans Image hat die Affäre Khashoggi aber allemal geworfen. Einst war er Liebkind der Regierungen von London bis Washington. Man sah ihn als Verbündeten des Westens. Einen Reformer. Auch weil er sich mit dem mächtigen islamischen Klerus angelegt hatte. Saudi Arabien ist mit den für Moslems heiligen Stätten Mekka und Medina seit der Zeit des Propheten Mohammed die Wiege des sunnitischen Islams. Bisher hatten dort besonders konservative Imame das Sagen. MbS lässt Kinos, Opernhäuser zu und baut Shoppingmalls und Unterhaltungszentren. Sogar an den Öffnungszeiten der Geschäfte, die sich streng nach den Gebetszeiten für Moslems richten, rüttelt er. Seither rumort es im Königreich. Doch Reformen sind dringend notwendig. Die Arbeitslosigkeit in dem Land, in dem das Durchschnittsalter der Bevölkerung 27,9 Jahre beträgt, ist gerade bei jungen Menschen trotz des Ölreichtums hoch. Durch gesellschaftliche Liberalisierung will bin Salman Arbeitsplätze schaffen. Der Klerus beäugt dies genau.


Zugleich hat er aber die Repression gegen Kritiker verschärft. Die Ermordung Khashoggis war nur der sichtbare Höhepunkt davon. So ließ bin Salman etwa im November 2017 Dutzende Prinzen und Geschäftsleute unter dem Vorwurf der Korruption im Nobelhotel Ritz Carlton in Riad inhaftieren. Die Freilassung mussten sie sich teuer erkaufen. Neben einer Machtdemonstration – auch innerhalb des Herrscher-Clans – , ein Weg, Geld in die leerer werdenden Staatskassen zu spülen. An seiner Allmacht soll keiner Zweifeln. Frauen gestattete er zwar erstmals Auto zu fahren, ließ zugleich aber Dutzende Frauenrechtlerinnen festnehmen.

Kritik an der Außenpolitik des Prinzen

Für viel Kritik sorgte auch die aggressive Außenpolitik des Kronprinzen. Seine Militärintervention gegen die pro-iranischen Huthi-Rebellen im Jemen führte dort zu einer humanitären Katastrophe. Für Streit sorgte die Blockade gegen Katar wegen dessen Nähe zum Iran.


Das alles hat bin Salmans Ansehen international ramponiert – mehr jedoch wohl nicht. Die US-Regierung hat Saudi-Arabien aufgefordert, eine an der Ermordung Khashoggis beteiligte Eliteeinheit aufzulösen. Das Fehlen der Sanktionen gegen MbS selbst sorgte international für Kritik. US-Präsident Joe Biden hat eine „Neueinstellung“ der Beziehungen angekündigt. Dass aber auch die neue US-Regierung nicht an einem „Bruch“ mit der absoluten Monarchie interessiert sei, scheint klar. Auch in Riad selbst reagierte man verhalten. Eine Ablösung des Kronprinzen steht nicht im Raum. Der 35-Jährige wird in absehbarer Zeit König sein. Er ist das Gegenbild der zögerlichen alten Männer, die bisher Saudi Arabien regiert haben. Ein echter Reformer ist er jedoch kaum. Darauf muss sich der Westen wohl einstellen: auf einen unberechenbaren und impulsiven Prinzen mit zwei Gesichtern.