Im Ibiza-U-Ausschuss soll Altkanzler Christian Kern (SPÖ) heute erzählen, was er vorab vom Ibiza-Video wusste. Der Politik hat Kern mittlerweile ganz den Rücken zugekehrt. Mit seiner Frau führt er die „Blue Minds Company“, eine Technologiefirma, die in Unternehmen investiert. Zuletzt beteiligte sich das Unternehmen an einer Glasfabrik in Brandenburg, die Glas für Photovoltaikpaneele produziert.
Darüber hinaus ist Kern, der als SPÖ-Chef gegen das Handelsabkommen CETA kampagnisierte, es dann aber auf EU-Ebene doch nicht blockierte, Mitglied im Aufsichtsrat der russischen Staatsbahn und der amerikanischen Investmentbank Lazar. Außerdem ist er Präsident eines chinesischen Unternehmervereins in Europa, der direkt an die Regierung in Peking angebunden ist und rund 2.000 der größten Firmen Chinas vertritt. „All das fällt eher unter Hobbys“, sagt Kern. Kommerzielle Interessen stünden nicht dahinter.
Netzwerk
Sie kennen alle, die Macht und Namen haben. Über Jahre hatten sie Zugang zu Hintergrund- und Spezialwissen, das nicht jedem zugänglich ist. Sie haben Entscheidungen getroffen, die oft noch über Jahre nachwirken. Spitzenpolitiker, die aus dem Amt ausscheiden, verfügen über Insider-Informationen und ein Netzwerk, das Gold wert ist, im wahrsten Sinn.
Wie berichtet hat die russische Regierung die ehemalige österreichische Außenministerin Karin Kneissl für den Aufsichtsrat des mehrheitlich im Staatsbesitz stehenden Ölkonzerns "Rosneft" nominiert. Eine diesbezügliche Anordnung des Premierministers Michail Mischustin vom 26. Februar 2021 wurde kürzlich offiziell veröffentlicht.
In der Liste von künftigen Aufsichtsratsmitgliedern finden sich neben drei russischen Spitzenbürokraten auch vier Ausländer, die im Aufsichtsrat der vom langjährigen Putin-Vertrauten Igor Setschin geleiteten Aktiengesellschaft als sogenannte "unabhängige Direktoren" agieren sollen. Konkret wurden neben Kneissl auch Deutschlands Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der deutsche Geschäftsmann Matthias Warnig sowie der Schweizer Banker Hans-Joerg Rudloff nominiert. Kneissl ist die einzige Person in Mischustins Liste, bei der kein offizieller Arbeitsplatz genannt wurde.
Die Allianz von Politik und Wirtschaft ist nicht neu, im Folgenden eine Liste jener internationalen Politiker, die besonders kontroversiell diskutierte Posten annahmen:
Gerhard Schröder
Der ehemalige deutsche Bundeskanzler (SPD) ist wohl eines der prominentesten Beispiele für den Seitenwechsel von der Politik in die Wirtschaft. Seit Jahren ist Gerhard Schröder für russische Energiekonzerne tätig. Als Bundeskanzler förderte er gemeinsam mit Russlands Präsident Wladimir Putin die Ostsee-Pipeline Nord Stream AG, wenig später saß Schröder bei der Betreiberfirma der Ostsee-Pipeline im Aufsichtsrat. Seit 2017 ist er Mitglied des Aufsichtsrats des russischen Ölkonzerns Rosneft. Die Nähe des Konzerns zum Kreml löst Kritik aus, seit der Nawalny-Affäre wird von Schröder endgültig Distanz gefordert.
Joschka Fischer
Der Grünen-Politiker und ehemalige Außenminister Deutschlands wechselte ein Jahr nach dem Ausscheiden aus der Politik in die Privatwirtschaft. 2007 wurde er Unternehmensberater und Lobbyist. Er beriet etwa BMW, hatte Beraterverträge mit den Energiekonzernen RWE und der österreichischen OMV, für die er das Pipeline-Projekt „Nabucco“ vorantrieb.
Tony Blair
Großbritanniens ehemaliger Labour-Premier wurde nach seinem politischen Ende ein hoch bezahlter Redner und Berater. Er hielt zwei Jahre lang geheim, dass er den südkoreanischen Ölbaron Kyu-Sun Choi von der UL Energy Corporation beriet, der schon wegen Bestechung im Gefängnis saß. Auch der Beratervertrag des Nahostbeauftragten Blair mit der kuwaitischen Herscherfamilie war umstritten.
José Manuel Barroso
Barroso war bis 2004 Regierungschef in Portugal und leitete danach bis 2014 die EU-Kommission. Der Ex-Präsident der EU-Kommission ist seit 2016 Lobbyist bei der US-Investmentbank Goldman Sachs. Sein Seitenwechsel veranlasste die EU-Kommission dazu, ihren Verhaltenskodex zu verschärfen. Ehemalige EU-Kommissare sollen eine zweijährige Karenzzeit einhalten (zuvor 18 Monate), für den Kommissionspräsidenten sollen drei Jahre Übergangszeit gelten. Schon vor Barroso gab es allerdings Seitenwechsel zwischen hohen EU-Ämtern und Goldman Sachs (Mario Monti, Mario Draghi).
Günther Oettinger (CDU) hat seit seinem Abschied aus der Politik mittlerweile 13 Posten übernommen. Oettinger war bis Ende November 2019 zehn Jahre lang deutscher EU-Kommissar, zuletzt zuständig für Haushalt und Personal. Von 2005 bis 2010 war er Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg.
EU-Rekordhalter in Sachen Posten ist Oettinger aber nicht. Das sind Barroso mit 21 Posten und der frühere Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia mit 15 Posten. Die EU-Kommission unterscheidet in ihrer Statistik nicht, ob es sich um Ehrenämter oder bezahlte Aufgaben handelt.