Die Zeltstadt Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos, in der zurzeit noch fast 7000 Menschen unter erbärmlichen Bedingungen hausen, soll geschlossen werden. Die meisten Bewohner werden in bessere Unterkünfte aufs griechische Festland gebracht. Damit reagiert Migrationsminister Notis Mitarakis auf die internationale Kritik an den Zuständen in Kara Tepe.
Mitte Februar war es wieder einmal so weit: Schnee- und Hagelstürme peitschten über die Insel Lesbos. Im Flüchtlingslager Kara Tepe, das am Rand der Inselhauptstadt Mytilini gleich am Meer liegt, rissen die Sturmböen Zeltplanen fort. Erst versank das Lager im Schnee, dann im Schlamm.
"Die Schande Europas"
Das Zeltlager Kara Tepe wurde im vergangenen September innerhalb weniger Tage als provisorischer Ersatz für das abgebrannte Flüchtlingscamp Moria errichtet. Von Moria sprachen viele Bewohner als einer „Hölle“, Hilfsorganisationen nannten das Camp „die Schande Europas“.
Die Zustände in Kara Tepe sind nicht viel besser. Erst im Dezember hatte es bei schweren Unwettern Überflutungen gegeben. Die Hilfsorganisation Caritas International schlug Alarm: „Überschwemmte Zelte, viel zu wenige Toiletten und Duschen, kaum Schutz vor Sturm und Regen: Auch das neu errichtete Camp auf der griechischen Insel Lesbos steht für eine gescheiterte europäische Flüchtlingspolitik“, lautet das Urteil von Caritas.
Um das Lager zu entlasten, hat die griechische Regierung allein in den vergangenen sechs Monaten etwa 6000 Migranten von Lesbos aufs Festland umgesiedelt und in andere europäische Länder gebracht. Insgesamt ging die Zahl der Bewohner in den Insellagern zwischen Januar 2020 und Januar 2021 on knapp 42 000 auf 16 200 zurück. Vor zehn Tagen flogen 116 Geflüchtete von Lesbos nach Hannover. Bisher hat Deutschland 1677 Migranten aus Griechenland aufgenommen, vor allem unbegleitete Minderjährigen sowie kranke Kinder mit ihren Familien.
Nach dem EU-Flüchtlingspakt müssen Geflüchtete so lange in den Lagern auf den griechischen Inseln bleiben, bis über ihre Asylanträge entschieden ist. Früher dauerten die Verfahren mitunter Jahre. Die seit 2019 amtierende konservative Regierung hat die Bearbeitung erheblich beschleunigt. Nach Angaben des Ministeriums für Migrations- und Asylpolitik werden neue Asylanträge derzeit innerhalb von acht Tagen bearbeitet und in erster Instanz entschieden. Damit können die Schutzsuchenden schneller von den Inseln aufs Festland übersiedeln.
Migrationsminister Mitarakis kündigte jetzt in einem Brief an den Bürgermeister von Lesbos, Stratis Kytelis, den raschen Abschluss aller anhängigen Asylverfahren der Bewohner von Kara Tepe an. Dort lebten nach offiziellen Angaben vom Freitag 6982 Menschen. Mit der Beschleunigung der Asylverfahren werde es möglich, das provisorische Zeltlager „innerhalb der nächsten Wochen“ zu schließen, schrieb Mitarakis.
Neues Erstaufnahmelager
Geflüchtete, die von der Türkei über die Ägäis nach Lesbos kommen, sollen dann in ein neues Erstaufnahmelager gebracht werden, das gegenwärtig im Westen der Insel entsteht. Es bietet in Wohncontainern Platz für etwa 3000 Menschen. Die Kapazität gilt als ausreichend, weil die Zahl der neu ankommenden Schutzsuchenden stark zurückgegangen ist. Während im Januar 2020 noch 1751 Migranten übers Meer nach Lesbos kamen, waren es im Januar dieses Jahres nur 140. Der Rückgang ist vor allem das Ergebnis schärferer Grenzkontrollen. Griechenland und die EU-Grenzschutzagentur Frontex stehen allerdings wegen sogenannter Pushbacks in der Kritik. Darunter versteht man das Zurückdrängen von Flüchtlingsbooten, was nach dem Völkerrecht verboten ist. Der türkische Vize-Außenminister Yavuz Kelim Kiran beschuldigte diese Woche Griechenland, es habe in den vergangenen drei Jahren 80.000 Flüchtlinge in die Türkei zurückgedrängt. Der griechische Migrationsminister Mitarakis bezeichnete diese Berichte als von der Türkei fabrizierte „Fake News“.