Im Vorfeld des heute in Brüssel beginnenden EU-Gipfels macht sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) für die Einführung eines EU-weiten „Grünen Passes“ nach israelischem Modell stark. Im Blickfeld hat Kurz die kommende Sommersaison, der Pass sollte digital am Handy abrufbar sein und freies Reisen innerhalb Europas wieder ermöglichen.
Der Grüne Pass ist deutlich mehr als ein simpler Impfnachweis. Wenn jemand in den letzten sechs Monaten an Corona erkrankt ist und deshalb weitgehend immun ist, soll dies ebenso im Pass verzeichnet werden wie ein 48 Stunden alter, negativer Coronatest. Der Grüne Pass gleicht einem Passierschein beim Grenzübertritt und garantiert, dass der Besitzer virologisch und epidemiologisch kein Risiko darstellt.
Kerneuropa
Sollte es unter den 27 EU-Ländern zu keiner Einigung auf ein europaweites Reiseregime kommen, kann sich Kurz einen gemeinsamen Vorstoß mit anderen Tourismus-Destinationen wie Griechenland, Kroatien, Spanien oder auch Israel vorstellen. Dem Vernehmen nach sehen Deutsche und Franzosen das Konzept skeptisch. Kurz schwebt nicht primär die Einführung eines einheitlichen EU-Dokuments (wie beim klassischen Reisepass) vor, erste wichtige Schritte wären die Schaffung einheitlicher Standards und die gegenseitige Anerkennung nationaler Dokumente.
„Wir wollen möglichst schnell wieder zurück zur Normalität, unser altes Leben wiederhaben und ein Maximum an Freiheit“, begründet Kurz den Vorstoß. „Solange es die Pandemie und das Virus gibt, wird das nur gehen, wenn wir auf Schutzmaßnahmen setzen, entweder durch eine Impfung oder Test.“ Der Pass könnte auch im Gastro-, Kultur- und Veranstaltungsbereich Anwendung finden. „Dafür braucht es ein Sicherheitsnetz: im Idealfall eine Impfung, sonst einen Test.“
Man kann davon ausgehen, dass bis auf Weiteres Reisen innerhalb Europas ohne Anti-Corona-Zertifikat nicht mehr möglich sein werden. Urlaubsdestinationen wie Griechenland, Spanien oder Österreich hoffen auf Touristen, wollen aber unter allen Umständen vermeiden, dass durch die Reisetätigkeit neue Cluster oder Mutationen eingeschleppt werden.
"Impfzertifikat"
Der Sondergipfel ist vorwiegend den Themen Koordination und Impfstoffbeschaffung gewidmet. Die jüngsten Reisebeschränkungen, etwa an der Grenze Deutschlands zu Tirol, werden Zankapfel sein. Die Debatte um das auf EU-Ebene betont neutral genannte „Impfzertifikat“ verbirgt sich hinter dem Punkt „bessere Nutzung von Gesundheitsdaten und Datenmodellen“. EVP-Chef Manfred Weber, Chef der größten Parteienfamilie, übte gestern Kritik am langsamen Vorankommen der Mitgliedsländer: „Wenn wir nicht umgehend ein funktionierendes Zertifikatssystem einführen, erwartet uns ein bürokratischer Albtraum.“ Dann müssten geimpfte Personen erst nachträglich registriert werden.
Vizepräsidentin Esther de Lange wies darauf hin, dass es zunächst um Dinge wie Infrastruktur und Kompatibilität zwischen den Ländern gehe – ethische und inhaltliche Fragen seien davon unberührt. Weiteres Gipfelthema wird die Einreise aus Drittländern sein – so sind Direktflüge aus Ländern wie Südafrika gestrichen, über Zwischenstationen kommt man aber in die EU.