Jubelnd zogen Sonntag am Abend die Anhänger von Albin Kurti durch die Straßen von Pristina: Seine Partei Vetvendosje konnte ihre Sitze im Parlament von bisher 29 auf mehr als 50 fast verdoppeln. Im Parlament mit seinen 120 Sitzen hat Vetevendosje nun mehr Mandate als alle drei traditionellen Albaner-Parteien zusammen. Das zeigen übereinstimmend alle Nachwahlbefragungen. Ein vorläufiges Endergebnis liegt im Kosovo noch nicht vor. An den Feiern seiner Anhänger nahm Kurti wegen der Corona-Pandemie nicht teil. Bei einer Pressekonferenz in der Wahlnacht gab er sich staatstragend: „Ich danke allen politischen Gegnern für den fairen Wettbewerb und wünsche ihnen eine erfolgreiche Reform; unser Staat braucht eine fähige Opposition, die den Staat kontrolliert.“
Albin Kurt war bereits einmal für vier Monate Regierungschef. In Pristina geboren ist Kurti - der gut serbisch spricht - seit seiner Studentenzeit politisch aktiv. 1997 organisierte er Studentenproteste gegen die Unterdrückung der Albaner durch den serbischen Autokraten Slobodan Milosevic. Im April 1999, als der NATO-Krieg bereits begonnen hatte, verhaftete ihn die serbische Polizei; Kurti wurde in Serbien zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt, kam aber im Dezember 2001 – ein Jahr nach Milosevics Sturz in Belgrad – auf Druck des Westens frei.
Kampf gegen die Korruption
Zurück im Kosovo gründete er die Bewegung „Vetevendosje“, die durch ihren Aktionismus rasch Aufmerksamkeit erregte; aus der Bewegung entstand dann die gleichnamige Partei. Der Kampf gegen die Korruption war stets ein wichtiges Element dieser Bewegung und auch ein zentrales Thema im Wahlkampf. Ob Kurti sein politisches Programm wird umsetzen können, ist derzeit unklar.
Charisma
Der 47-jährige Politiker hat zweifellos Charisma; ob er als starke politische Persönlichkeit auch kompetente und selbständig denkende Mitarbeiter neben sich dulden kann, und ob er team- und kompromissfähig ist, wird darüber mitentscheiden, ob Kurti die Hoffnungen viele Kosovo-Albaner auch tatsächlich erfüllen kann.
Normalisierung mit Serbien?
Keine Priorität haben für Kurti die Verhandlungen mit Serbien über die Normalisierung der Beziehungen, die zu einer Anerkennung des Kosovo durch Belgrad führen soll. Diese Haltung entspricht nach Umfragen der Stimmung der Bevölkerung, für die soziale Fragen und der Kampf gegen die Korruption im Vordergrund stehen. Doch das Thema Serbien lässt sich sehr rasch emotionalisieren; außerdem ist in und zwischen den Parteien umstritten, wie eine derartige Normalisierung zu erreichen ist. Belgrad und damit Präsident Alexander Vucic bleiben im Kosovo jedenfalls ein politischer Faktor. 20 Sitze im Parlament sind für nationale Minderheiten reserviert; 10 entfallen auf zahlenmäßig sehr kleine Volksgruppen, weitere 10 auf die Serben. Ihre von Vucic kontrollierte „Serbische Liste“ gewann alle diese zehn Sitze.
Keine Koalition mit den Serben
Die Wähler haben Kurti einen klaren Auftrag erteilt; eine Regierung kann er auch nur mit den Parteien der nationalen Minderheiten bilden. Mit den Serben will Kurti nicht koalieren, bleiben die übrigen zehn Abgeordneten; für eine Regierungsbildung würde das reichen. Doch der Kosovo hat derzeit mit Vjosa Osmani nur eine amtsführende Präsidentin; ob sie den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen kann, ist höchst umstritten.
Wer soll Regierungsauftrag erteilen?
Kurtis Fahrplan, um das zu lösen, sah vor der Wahl jedenfalls so aus, dass er hoffte, eine absolute Mehrheit zu erreichen, sodass Osmani, mit der er eine gemeinsame Liste hat, ihm nach der Wahl den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen kann. "Doch bis 5. Mai müssen wir einen neuen Präsidenten wählen, der der amtierende sein sollte", so Kurti. "Dazu brauchen wir ein Präsenzquorum von 80 Abgeordneten. Das wird nicht leicht, ist aber machbar."
Verfassungskrise zeichnet sich ab
Doch nach derzeitigem Stand haben Kurti und Osmani diese absolute Mehrheit von 61 Sitzen nicht erreicht; ob Kurtis Partnerin daher Präsidentin werden wird, ist noch aus einem anderen Grund fraglich. Denn im Kosovo ist rechtlich umstritten, ob ein amtsführender Präsident den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen kann. Kurti sagt ja, die meisten anderen Albaner-Parteien Nein. Nein sagt auch Enver Hasani, der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofes. In der Verfassung steht darüber nichts, doch der Gerichtshof hat dazu bereits ein Grundsatzurteil erlassen, das Hasani so erläutert: „Wir haben festgelegt, dass der amtsführende Präsident Tagesgeschäfte erledigen kann. Aber er kann weder Begnadigungen aussprechen und Botschafter oder Richter ernennen", so Hasani. "Mit anderen Worten: Die Ernennung des neuen Regierungschefs hat nichts mit der täglichen Arbeit zu tun." Somit ist mit der Wahl vom Sonntag eine verfassungsrechtliche Frage der Legitimierung der Organeverbunden.
Weitere Fallstricke
Möglicherweise könnten traditionelle Albaner-Parteien, die beim jetzigen Wahlgang unterlagen, Albin Kurti aber auch mit einem weiteren Gang zum Verfassungsgerichtshof das Leben schwer machen. Wegen einer rechtskräftigen Verurteilung durfte er nicht für das Parlament kandidieren, entschied der Gerichtshof. Der Anlass waren damals die Protestaktionen im Parlament im Jahr 2015, als Kurti und mehrere damalige Vetevendosje-Abgeordnete wiederholt Tränengas im Parlament versprüht hatten.
Möglich ist, dass diese Parteien mit dem Hinweis auf Kurtis Verurteilung auch seine Wahl zum Regierungschef bekämpfen könnten. Die Zeit drängt auf jeden Fall, weil das Mandat der amtsführenden Präsidentin am 5. Mai endet, ein neuer Präsident aber bereits bis Anfang April gewählt werden müsste. Kommt weder die Wahl eines Präsidenten noch eine Regierung zustand, droht im Kosovo ein verfassungsrechtliches Vakuum und damit eine Blockade der Institutionen.