Sergej Lawrow ist ein "alter Hase" auf dem diplomatischen Parkett; seit 2004 ist er Außenminister Russlands, somit einer der längstdienenden dieser Welt. Man darf sich darauf verlassen, dass ihm Drohungen nicht einfach ungeplant herausrutschen. Wenn die EU neue Sanktionen gegen Russland verhänge, werde Moskau die Beziehungen abbrechen, gab er in einem Interview zu Protokoll. Und weiter: "Wir wollen uns nicht vom weltweiten Leben isolieren, aber wir müssen dafür gerüstet sein. Wenn man Frieden will, muss man sich auf Krieg vorbereiten." Das sitzt. Deutschland reagierte irritiert. 

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Die martialischen Töne markieren einen neuen Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen Russland und der EU. Dabei dachten viele schon zu Beginn der Woche, dieser sei erreicht: Da hatte Moskau den EU-Außenbeauftragen Josep Borrell öffentlich blamiert. Borrell war - gegen den Rat der Balten und anderer Ost-Europäer - nach Moskau gereist, um nicht nur über den Fall Nawalny zu reden, sondern auch Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten - etwa im Streit um den Atomdeal mit dem Iran oder bei Corona. Hat überhaupt nicht funktioniert. Kreml-Chef Wladimir Putin nahm sich gar nicht erst Zeit, Borrell zu empfangen. Lawrow gab sich eisig; und am Tag seines Besuches wurden vier EU-Diplomaten ausgewiesen, denen vorgeworfen wurde, sie hätten an Nawalny-Protesten teilgenommen. Das entspricht nicht der Wahrheit - sie hatten die Proteste beobachtet, um sich als Diplomaten ein Bild von der Lage zu machen. Doch die Botschaft war klar: Moskau schert sich nicht um Kritik aus Europa; und ein Dialog in Einzelbereichen steht auch nicht auf der Agenda.

Sanktionen

Wie nun die Drohungen Lawrows einzuschätzen sind, bleibt abzuwarten. Der Kreml relativierte sie später als aus dem Zusammenhang gerissen. Dementiert hat er sie nicht. Zum jetzigen Zeitpunkt darf man sie als Drohgebärde betrachten, Sanktionen abzuwehren, bevor sie beschlossen werden. Seit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ost-Ukraine hält man gerade im an Russland angrenzenden Baltikum einiges mehr an militärischer Aggression für möglich als früher. Anzumerken wäre, dass Diplomaten zufolge derzeit Sanktionen erwogen werden, die nicht auf Russland als Gesamtes, sondern direkt auf Verbündete von Präsident Putin zielen - deren Konten könnten eingefroren werden, auch Reiseverbote drohen.

Außenfeind

Das Muster, scharf gegen den Westen zu polemisieren, gehört allerdings zum Standard-Repertoire der späten Putin-Jahre. Gerade jetzt, in einem Wahljahr, wo in den Protesten rund um die Vergiftung und Inhaftierung Nawalnys der Unmut vieler Bürger sichtbar wird, kommt ein Außenfeind gelegen.

Alexej Nawalny selbst bringt das ganze derzeit wenig. Er stand am Freitag erneut vor Gericht, diesmal wird ihm Verleumdung eines Veteranen vorgeworfen. Beobachter fürchten bereits, auch eine Anklage wegen Landesverrats könnte vorbereitet werden. Sehr viele Jahre Straflager drohen.