Im bevölkerungsreichsten Land der Erde macht man sich Sorgen um den Nachwuchs: Die Geburtenrate in China sinkt deutlich. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Geburten drastisch auf einen Tiefstand gefallen. Im Vergleich zum Vorjahr seien 15 Prozent weniger Neugeborene amtlich gemeldet worden, erklärte das Ministerium für öffentliche Sicherheit in Peking gegenüber der "Global Times".
Die Entwicklung ist durchaus erstaunlich: Jahrzehntelang hat China versucht, den Nachwuchs mit einer Ein-Kind-Politik zu beschränken, um das Bevölkerungswachstum im Land zu kontrollieren - schließlich benötigt eine wachsende Bevölkerung auch ein Mehr an Nahrung, Infrastruktur und Wirtschaftswachstum. Die nicht unumstrittene Ein-Kind-Politik, die unter anderem dazu geführt hatte, dass immer weniger Mädchen geboren werden, wurde zwar abgeschafft - dennoch führte das nur 2016 zu einem leichten Anstieg der Geburten. Danach begann der Sinkflug der Geburtenrate.
Kinder "zu teuer"?
Die Ursachen sind komplex. Bevölkerungsexperten wie Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin meinen, die jahrzehntelange Ein-Kind-Politik sei mittlerweile tief verwurzelt. "Die Menschen haben sich daran gewöhnt, nur ein Kind zu haben", sagte Yi Fuxian gegenüber dpa in Peking. Auch seien die Ausgaben, um Kinder in China großzuziehen, sehr hoch. Zugleich steigen die Scheidungsraten. Er warnt vor den Folgen für das Wirtschaftswachstum, wenn eine Bevölkerung überaltert.
Europa schrumpft dramatisch
Ein Problem, das man auch in Europa gut kennt: Im Jahr 2020 fanden sich in einem Bericht der UNO unter den Top 20 Ländern mit schrumpfender Bevölkerung 18 Staaten Europas. Und das ganz ohne eingelernte Ein-Kind-Politik: Einerseits gibt es Staaten mit hoher Abwanderung, wie etwa die südosteuropäischen Staaten. Aus Bulgarien oder Rumänien etwa wandern viele Menschen in Richtung der finanzkräftigeren und lohnstärkeren EU-Länder Zentral- und Westeuropas. Vor allem im Bereich der Pflege und bei Handwerksberufen verlassen viele Arbeitende ihr Heimatland.
In Ländern wie Italien wiederum schrumpfte tatsächlich die Geburtenrate deutlich unter die Rate von 2,1 Kindern pro Frau - so viele wären notwendig, um den Status quo aufrechtzuerhalten. So hat Italien derzeit etwa nur mehr eine Rate von 1,32 Geburten pro Frau. Laut einem Bericht der "Financial Times" liege das im Falle Italiens vor allem an der unsicheren wirtschaftlichen Zukunft des Staates und der damit verbundenen Sorge, Kinder nicht adäquat versorgen zu können.
Schlecht vorbereitet
Auch in Europa herrscht Sorge, die Überalterung der Gesellschaft könne zu einem Arbeitskräftemangel, zu Problemen bei der Innovationskraft und in der Pflege führen. Unklar ist in allen Ländern vorerst noch, wie sich die Corona-Krise auf die Geburtenrate und die Bevölkerungsentwicklung auswirken wird, da noch nicht alle Daten vorliegen.
Mehr als 9,7 Milliarden werden wir nicht
Experten weisen darauf hin, dass bei der Entwicklung der Weltbevölkerung insgesamt große Veränderungen zu erwarten sind - hier würden die Karten neu verteilt: Laut einer Studie eines Forscherteams der University of Washington (Vollset et al., 2020) wächst die Weltbevölkerung künftig weniger als bisher von der UNO in ihrem Bericht 2019 angenommen. Und ab 2064 wird sie demnach sogar schrumpfen. Bis 2064 sei mit einem Wachstum auf dann 9,73 Milliarden Menschen zu rechnen. Danach werde die Weltbevölkerung aber wegen sinkender Geburtenraten schrumpfen und Ende des Jahrhunderts bei 8,79 Milliarden liegen - trotz eines starken Bevölkerungswachstums auf dem afrikanischen Kontinent und in manchen Ländern der Pazifik-Region.
Keine massive Überbevölkerung?
Den Berechnungen der Vollset-Studie zufolge werden 23 Länder bis 2100 die Hälfte ihrer Bevölkerung verlieren, darunter Japan, Thailand, Spanien, die Ukraine. Weitere 34 Länder schrumpfen um 25 bis 50 Prozent. Dazu gehört auch China, das bei einem Minus von 48 Prozent von 1,4 Milliarden Menschen auf 732 Millionen zurückfallen werde. Für Deutschland wird nach dem Höchststand von 85 Millionen Einwohnern im Jahr 2035 von heute 83 auf 66,4 Millionen gerechnet. Bis 2100 könnte es demnach etwa gleich viele über 80-Jährige geben wie Neugeborene. Die Forscher erklären den Rückgang der Geburtenrate vor allem mit steigendem Bildungsniveau der Frauen.
Sollten sich diese Prognosen erfüllen, wäre die Sorge, dass es am Ende des 21. Jahrhunderts eine massive Überbevölkerung geben wird, unbegründet.
2100: Indien vor Nigeria und China
Allerdings könnten die demografischen Veränderungen auch große politische Verschiebungen bedeuten, auf die es sich vorzubereiten gilt: Heute leben in Afrika 1,3 Milliarden Menschen, für 2050 werden 2,5 Milliarden erwartet und für 2100 4,3 Milliarden. Südlich der Sahara werden dann mit über drei Milliarden fast dreimal so viele Menschen leben wie heute. 2020 führten China (1,4 Milliarden), Indien (1,38 Milliarden) und die USA (336 Millionen) die Liste der bevölkerungsreichsten Staaten an. Im Jahr 2100 könnten Indien (1,1 Milliarden) und Nigeria (790 Millionen) vor China (732 Millionen) und den USA (336 Millionen) liegen.