Wenn Jamie Raskin als Chefankläger eines neunköpfigen Teams dem US-Senat die Vorwürfe gegen Ex-Präsident Donald Trump darlegt, dann kann er seine Emotionen nicht verbergen. Raskin wirft Trump vor, er habe seine Anhänger gezielt zu den Protesten geschickt, bereits im Voraus zu Gewalt ermutigt und die Menge am Tag der Attacke "in Raserei versetzt". Die Randale habe der damalige Präsident mit Enthusiasmus verfolgt. "Er hat es sich im Fernsehen angeschaut wie eine Reality Show." Ein weiterer Ankläger, der Abgeordnete Joaquin Castro, sagte, Trump habe alle Menschen im Kapitol schlicht "dem Tod überlassen". Zur Untermauerung ihrer Aussagen wurden in den ersten Prozesstagen bisher unveröffentlichte Videos vom Sturm aufs Kapitol vom 6. Jänner gezeigt.

Der Impeachment-Prozess begann leidenschaftlich und emotionsgeladen: Eindringlich wandte sich der Trump-Chefankläger an die Senatoren, die in den nächsten Tagen über die Verurteilung von Donald Trump wegen "Anstiftung zum Aufruhr" entscheiden müssen: "An diesem Tag sind Menschen gestorben!", sagte Jamie Raskin am Anfang. Das könne nicht "unsere Zukunft" sein. "Das kann nicht die Zukunft von Amerika sein. Wir können keine Präsidenten gebrauchen, die den Mob gegen unsere Regierung und unsere Institutionen aufhetzen und mobilisieren, weil sie sich weigern, den Willen des Volkes zu akzeptieren."

Den 6. Jänner mit seinem Sturm aufs Kapitol habe er noch konkret vor Augen. Es war der Tag nach der Beerdigung seines Sohnes Tommy,  "der traurigste Tag in unserem Leben". Der 25-Jährige hatte an schweren Depressionen gelitten, zu Silvester nahm er sich das Leben.  Raskins Tochter hatte den Vater gebeten, am 6. Jänner doch nicht zur Arbeit zu gehen. Er aber habe erwidert, die Bestätigung des Wahlsiegs Joe Bidens sei verfassungspolitisch ein wichtiger Moment. Er schlug vor, sie und ihr Mann sollten ihn doch in den Kongress begleiten.

"Todesangst"

Dann stürmte an diesem denkwürdigen 6. Jänner der Mob ins Kapitol und Raskin dachte, nun verliere er auch noch seine Tochter und seinen Schwiegersohn. Die beiden konnten sich in einem Büro in Sicherheit bringen und krochen unter einen Tisch, während von draußen gegen die Tür gehämmert wurde. "Sie hatten Todesangst", schilderte Raskin.

Das alles erzählte der demokratische Kongressabgeordnete zu Beginn des Amtsenthebungsverfahrens gegen Donald Trump. Raskin forderte, Trump müsse für sein Handeln als Präsident bis zum letzten Tag im Amt geradestehen - und damit auch für die gewaltsame Erstürmung des Kapitols durch seine Anhänger zwei Wochen vor seinem Abschied aus dem Weißen Haus.

Raskin, 1962 in Washington geboren, hat in Harvard Jus studiert und an der „American University“ Staatsrecht gelehrt. 2006 wurde der Demokrat in den Senat des Bundesstaates Maryland gewählt, seit 2017 vertritt er den Bundesstaat Maryland im US-Repräsentantenhaus.

Als Raskin unlängst von US-Medien gefragt wurde, warum Nancy Pelosi, die "Sprecherin" des Repräsentantenhauses, just ihn gebeten habe, die Gruppe der „House Impeachment Manager“ zu leiten, die gegen Trump die Anklage führen, erwiderte er: "Weil sie weiß, dass ich mein ganzes Leben der Verfassung gewidmet habe."

Das ist der Stoff, aus dem starke Romane oder große Filme gemacht werden. Allein schon die Biografie seines Vaters Marcus, Sohn jüdisch-russischer Einwanderer, der in Milwaukee aufwuchs und ein begnadeter Pianist ("Elegy for the End of the Cold War") war, aber auch ein leidenschaftlicher Verfechter der amerikanischen Verfassung, Jurist und Mitbegründer des Institute for Policy Studies, reicht für ein Helden-Epos. Jamie Raskins Vater Marcus arbeitete unter John F. Kennedy im Nationalen Sicherheitsrat in Washington und gehörte später zu jenen Männern, die mithalfen die Pentagon Papers an die Öffentlichkeit zu bringen, die letztlich zum Ende des Vietnamkriegs führten.