Die Kritik an der europäischen Grenzschutzagentur Frontex reißt nicht ab. Ein Rechercheteam um den deutschen Satiriker Jan Böhmermann wirft der Behörde nun vor, sich unangemeldet mit Lobbyistinnen und Lobbyisten aus der Rüstungsindustrie getroffen zu haben. "Weil Frontex seiner Verantwortung als EU-Agentur nicht gerecht wird, hat das ZDF Magazin Royale diese Aufgabe übernommen", hieß es auf einer Website mit dem Namen Frontex Files am Freitagabend, die von Böhmermanns Team aufgesetzt wurde. Die Recherchen stammen vor allem von den Journalistinnen Luisa Izuzquiza, Margarida Silva und Myriam Douo. Izuzquiza, die auch für die Plattform "Frag den Staat" arbeitet, wird derzeit von Frontex nach einem verlorenen Prozess vor dem Europäischen Gerichtshof auf die Erstattung von Anwaltskosten in Höhe von 24.000 Euro verklagt, wie "Netzpolitik" berichtet.

Laut Böhmermann verneinte die Grenzschutzbehörde 2018 die Frage eines EU-Parlamentsabgeordneten, 2017 an Treffen mit Lobbyisten teilgenommen zu haben und gab an, sich nur mit im EU-Transparenzregister aufgeführten Interessenvertreterinnen zu treffen. Unterlagen zeigten aber, dass es in dem fraglichen Jahr vier Treffen mit mehreren Lobbygruppen gegeben habe, von denen insgesamt mehr als die Hälfte nicht bei der EU registriert gewesen seien. Bei Treffen in den folgenden zwei Jahren seien knapp drei von vier Interessensvertretungen nicht bei der EU registriert gewesen.

Treffen mit Waffenlobby

Bei den Treffen präsentierten die Unternehmen laut dem Bericht unter anderem Waffen und Munition und versuchten, Einfluss auf die Politik der Agentur zu nehmen. Besonders interessiert hätten sich die EU-Grenzschützer bei den Treffen für die Sammlung, den Gebrauch und die Speicherung biometrischer Daten. Diese sollten langfristig eine Identifizierung durch Pässe überflüssig machen. Die Nutzung von Gesichtserkennungstechnologien ist innerhalb der EU umstritten.

Gegen die Grenzpolizei läuft bereits ein offizielles Ermittlungsverfahren der EU-Antibetrugsbehörde Olaf, bei dem es laut Berichten um Belästigung und illegale Zurückweisung von Mittelmeerflüchtlingen gehen soll. Deshalb erhöht nun EU-Innenkommissarin Ylva Johansson den Druck auf den Chef EU-Grenzschutztruppe Frontex, Fabrice Leggeri. "Die jüngsten Berichte in den Medien sind sehr besorgniserregend", sagte die Schwedin der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. Leggeri und der Frontex-Verwaltungsrat hätten eine große Verantwortung, darüber zu entscheiden, wie die Situation verbessert werden könne. "Die Erwartungen sind hoch."

Ermittlungen durch Antibetrugsbehörde

Johansson bezog sich auch auf Berichte über Ermittlungen der EU-Antibetrugsbehörde Olaf gegen Frontex. Die Ermittlungen waren bereits im Jänner von beiden Seiten bestätigt worden. Das Magazin "Politico" schrieb damals unter Berufung auf EU-Beamte von "Vorwürfen von Belästigung, Fehlverhalten und Migranten-Pushbacks". Nach einem Bericht des "Spiegel" von diesem Freitag geht es neben den Pushback-Vorwürfen auch um einen "möglichen Betrugsfall im Zusammenhang mit einem Dienstleister, um Mobbingvorwürfe und die Frage, ob der Grundrechtsbeauftragten der Agentur Informationen vorenthalten wurden".

Sowohl Olaf als auch Frontex wollten sich nicht zu Details der Ermittlungen äußern. Ein Frontex-Sprecher betonte jedoch, dass Leggeri sich auf das Ergebnis der Ermittlungen freue, weil er davon ausgehe, dass es die harte Arbeit der Behörde zeigen werde. Auch biete Frontex seinem Personal mehrere Wege, Beschwerden wegen möglichem Mobbing einzureichen. Gegen Leggeri und auch seinen Kabinettschef habe es keine offizielle Beschwerde gegeben.

Massive Kritik am Frontex-Chef

Johansson betonte nun, dass ein gutes Bewältigen der Aufgaben - sowohl ethisch als auch operativ - der Maßstab für langfristigen Erfolg von Frontex sei. "Frontex wird mit Abstand die größte EU-Agentur mit viel Macht", sagte sie. Derzeit seien viele Verpflichtungen etwa mit Blick auf die Einstellung von Grundrechte-Überwachern, von Personal für die Führungsebene oder für die ständige Reserve jedoch nicht erfüllt.

Im Zuge der Ermittlungen gegen Frontex wegen der angeblichen illegalen Zurückweisung von Flüchtlingen sind am Freitag ebenfalls weitere Vorwürfe aufgetaucht. Wie der "Spiegel" am Freitag berichtet, ermittelt die EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf auch zu einem möglichen Betrugsfall im Zusammenhang mit einem polnischen IT-Unternehmen, der nicht umgehend gemeldet worden sein soll. Frontex wollte sich auf AFP-Anfrage nicht zu diesem Vorwurf äußern.

Ermittlungen bestätigt

Olaf hatte Mitte Jänner bestätigt, Ermittlungen gegen Frontex eingeleitet zu haben. Hintergrund waren Medienberichte vom Oktober über die angebliche Verwicklung in die illegalen Zurückweisungen von Migranten durch die griechische Küstenwache. Frontex-Beamte waren demnach seit April nachweislich bei mindestens sechs sogenannten Pushbacks in der Ägäis in der Nähe gewesen. Teils gibt es zu den Vorfällen Videos.

Schon im Jänner hatte es aus EU-Kreisen geheißen, die Olaf-Ermittlungen erstreckten sich auch auf weitere mögliche Fälle von Fehlverhalten und auf Berichte über Schikanen innerhalb der Behörde. Nach dem "Spiegel"-Bericht prüft Olaf, ob Frontex-Chef Leggeri oder sein Kabinettschef Mitarbeiter angeschrien oder schikaniert haben.