Jetzt ist es fix: Putin-Kritiker Alexej Nawalny muss mehrere Jahre ins Gefängnis. Das entschied ein Gericht in Moskau. Es wandelte eine Bewährungsstrafe gegen den im August in Sibirien vergifteten Oppositionspolitiker in eine reale Haftzeit von 2,5 Jahren um. Die Richterin folgte dabei dem Antrag der Staatsanwältin Jekaterina Frolowa, die ursprüngliche Frist von 3,5 Jahren zu kürzen, weil Nawalny etwa ein Jahr der Strafe schon im Hausarrest abgesessen hatte. Nawalny war nach seiner Vergiftung freiwillig von Deutschland nach Russland zurückgekehrt und umgehend festgenommen worden. Allerdings muss Nawalny mit weiteren Verfahren rechnen; der Auftakt zum nächsten erfolgt schon kommenden Freitag.
Der Anti-Korruptionskämpfer nutzte seine Aussage vor Gericht am Dienstag noch für einen Angriff auf Kreml-Chef Wladimir Putin. Putin werde als "Wladimir, der Vergifter der Unterhosen" in die Geschichte eingehen, sagte vor aus dem Gericht. . Das "Killerkommando" soll das Nervengift in seiner Unterhose angebracht haben. Nawalny kritisierte erneut, dass russische Ermittler bis heute Untersuchungen zu dem Anschlag vom August ablehnten.
Unter einem beispiellosen Polizeiaufgebot wurde in Moskau der international umstrittene Prozess über eine Haftstrafe gegen Alexej Nawalny durchgezogen. Ein Urteil wurde für Dienstag Abend erwartet. Das Moskauer Stadtgericht wurde von Hundertschaften der auf Anti-Terror-Einsätze spezialisierten Sonderpolizei OMON bewacht und weiträumig mit Metallgittern abgesperrt. Es gab schon vor Beginn der als politische Inszenierung kritisierten Verhandlung erste Festnahmen. Es standen zahlreiche Gefangenentransporter bereit. Vor dem Gericht gab es auch Polizei auf Pferden. Zum Prozess kam auch Nawalnys Ehefrau Julia Nawalnaja, die eine schwarze Gesichtsmaske trug. Nawalny stand in einem Glaskasten im Gerichtssaal. Der Strafvollzug fordert eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren sowie eine Geldstrafe für Nawalny.
Vor dem Gerichtsgebäude parkten jedoch zahlreiche Fahrzeuge von Diplomaten, was das russische Präsidialamt zu einer Stellungnahme veranlasste. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, teilte am Vormittag auf Facebook mit, etwa 20 Vertreter westlicher Botschaften würden die Gerichtsverhandlung beobachten. Sie nannte konkret sechs NATO-Staaten sowie Österreich als vertretene Länder mit Namen. "Dies ist eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates", erklärte Sacharowa.
Der Prozess steht als politisch motiviert in der Kritik - viele Experten sehen darin einen neuen Versuch, den Gegner von Kremlchef Wladimir Putin mundtot zu machen.
Seine Anhänger haben für heute erneut Proteste angekündigt. Viele fürchten, dass Nawalny im Falle einer Verurteilung nach Sibirien und damit weit weg vom politischen Zentrum Moskau gebracht wird.
Nawalny selbst sagte kürzlich, man wolle ihn auf diesem Weg politisch kaltstellen: "Ich weiß, dass ich im Recht bin. Ich weiß, dass alle Strafverfahren gegen mich fabriziert sind. Man will mich ins Gefängnis stecken wegen eines Falls, in dem mir der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Recht gegeben hat."
Der Motor der Proteste
Er ist nicht der einzige, der dies so sieht. Alexej Wenediktow, Analyst des unabhängigen Radiosenders "Echo Moskvy", fasst es so zusammen: "Sie wollen Nawalny die Rolle als Motor der Protestbewegung wegnehmen. Ein Symbol bleibt er natürlich, aber er soll nicht weiter der Motor sein."
Im Vorfeld der heutigen Proteste wurden gestern der prominente russische Oppositionelle Ilja Jaschin festgenommen. Auch bei den Protesten am Sonntag hatte es tausende Festnahmen gegeben. Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch wurde am Montag nach einer mehrtägigen Haft in einem weiteren Verfahren zu Hausarrest bis zum 23. März verurteilt. In dieser Zeit ist die Kommunikation mit der Außenwelt über das Internet verboten.
Dünne Argumentation
Die Staatsanwaltschaft wollte, wie eingangs berichtet, eine in einem Prozess 2014 verhängte Bewährungsstrafe in echte Haft umwandeln lassen, nachdem sich Nawalny nicht wie vorgeschrieben bei den russischen Behörden gemeldet hat. Das konnte er allerdings auch gar nicht: Er befand sich im Koma in einem Krankenhaus in Berlin, nachdem im August ein Mordanschlag auf ihn verübt worden war. Wegen des Einsatzes des chemischen Kampfstoff Nowitschok steht der russische Geheimdienst FSB im Verdacht, hinter der Tat zu sehen. Die russische Führung weist den Vorwurf von sich.
Der Straßburger Gerichtshof hatte das Urteil gegen Nawalny bereits 2017 als "willkürlich" bemängelt und den russischen Staat zu einer Entschädigung verpflichtet. Selbst das angeblich betrogene Unternehmen hatte erklärt, es gebe gar keinen Schaden, den Nawalny verursacht haben soll.
"Keine Hinweise auf Vergiftung"
Nach seiner Rückkehr wurde er umgehend verhaftet, was international für Empörung gesorgt hat. Russland lehnt Ermittlungen zum Anschlag auf Nawalny ab, weil es keine Hinweise auf eine Vergiftung sieht. Mehrere westliche Labors hatten die Nowitschok-Spuren jedoch zweifelsfrei nachgewiesen. Die EU hat deshalb Sanktionen gegen ranghohe russische Funktionäre verhängt.
Nawalnys Team hat mit Blick auf die drohende langjährige Inhaftierung die EU und die USA aufgerufen, der Justizwillkür in Russland nicht tatenlos zuzusehen - und weitere Sanktionen zu verhängen. Auf EU-Ebene wird dies bereits diskutiert. Nawalny macht für das Attentat Putin und Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB verantwortlich. Der 44-Jährige sieht den Prozess nach seiner Rückkehr nach Russland nun als eine Rache des Kreml dafür, dass er nicht gestorben ist.
Vielzahl an Prozessen
Als sich Nawalny in Deutschland von dem Attentat erholte, soll er sich nicht - wie in einem früheren umstrittenen Strafverfahren vorgeschrieben - bei den russischen Behörden gemeldet haben. Der russische Strafvollzug hatte ihn deshalb zur Fahndung ausgeschrieben und ließ ihn nach seiner Landung in Moskau am 17. Jänner festnehmen. Ihm drohen eine Vielzahl weiterer Prozesse.
An diesem Dienstag wird die schwedische Außenministerin Ann Linde zu Gesprächen mit ihrem russischen Kollegen Sergej Lawrow in Moskau erwartet. Sie hat derzeit auch den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) inne. Ende der Woche trifft sich Lawrow in Moskau zudem mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, der das Vorgehen gegen Nawalny und Andersdenkende mehrfach scharf verurteilt hatte. Russland verbittet sich eine Einmischung in seine inneren Angelegenheiten.