Saudade. Das Wort ist schwer zu übersetzen, aber es ist der Inbegriff des portugiesischen Lebensgefühls. Sehnsucht und Wehmut schwingen mit. Beides gehört zu Lissabon, der hügeligen Stadt am Tejo, die heute vom Glanz vergangener Tage nur noch träumen kann. Denn die Corona-Lage in Portugal ist "sehr schlimm", besonders Lissabon ist schwer getroffen. Das erklärte zuletzt Portugals Premier Antonio Costa, dem die Coronakrise offensichtlich entglitten ist.

Am Samstag wurden in dem Land mit 10,3 Millionen Einwohnern 12.435 Neuinfektionen und 293 weitere Corona-Tote registriert. Gemessen an der Bevölkerungszahl gehören diese Werte nach Berechnungen von internationalen Organisationen zu den höchsten Werten weltweit. Dazu kommt, dass Portugals Intensivmedizin im internationalen Vergleich besonders schlecht ausgestattet ist. Laut OECD-Statistik hat das Land mit seinen 10,3 Millionen Einwohnern nur 4,2 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner. Und als wäre das nicht schon alles genug, kommt nun auch dazu, dass rund 70 Prozent des Krankenhauspersonals indes mit dem Coronavirus infiziert sind.

Österreich hat jetzt angeboten Intensivpatienten aus Portugal aufzunehmen, Deutschland schickt Ärzte und medizinische Ausrüstung in das südwesteuropäische EU-Land. 

Angesichts des neuen Corona-Dramas im Land gibt Premier Costa zu, dass es ein Fehler war, über Weihnachten und Silvester die Zügel locker zu lassen. „Mit den heutigen Daten hätten wir nicht erlaubt, was wir damals erlaubt haben", sagte er. Familien- und Freundestreffen in Privaträumen waren über die Festtage praktisch ohne Limit möglich, Bars und Restaurants waren geöffnet.

Antonio Costa hat es vermasselt. Dabei hatte er Portugal bis jetzt ganz gut im Griffe. 2011 musste Portugal von der EU und dem IWF noch vor dem Bankrott bewahrt werden, seit 2014 steht das ärmste Land Westeuropas nach der strengen Sparpolitik wieder auf eigenen Beinen.

"Musterschüler" wurde Portugal daraufhin in Brüssel genannt, und Athen immer als gutes Beispiel vor die Nase gehalten. Das lag nicht zuletzt an einem sehr sozialen Wirtschaftsprogramm des beliebten Premiers Costa, dessen Jus-Professor an der Universität Lissabon der wiedergewählte konservative Präsidente Marcelo Rebelo de Sousa war. Antonio Costas Vater war der aus dem indischen Goa eingewanderte Schriftsteller Orlando da Costa.

Der 59-jährige Jurist und gegenwärtige Generalsekretär der Sozialistischen Partei ist seit November 2015 Portugals Premier. Von 2007 bis 2015 war Antonio Costa Bürgermeister von Lissabon. Sympathien brachte es dem Juristen, dass er seine Amtsstube vom Praça do Comércio am Ufer des Tejo in einen von Armut und Drogenhandel geplagten Stadtteil verlegte, den er sanieren ließ.

Die ärmere Bevölkerung setzte große Hoffnung in den zweifachen Vater, doch schon öfter wurden die Portugiesen von ihren Regierungen enttäuscht. Portugals großer Dichter Fernando Pessoa weiß, in welche Falle seine Landsleute gern tappen: "Aus kleinen Missverständnissen gegenüber der Wirklichkeit zimmern wir uns (...) Hoffnungen zurecht und leben von den Brotrinden, die wir Kuchen nennen, wie arme Kinder, die Glücklichsein spielen."