Die aktuellste Wendung im Streit mit dem Pharmakonzern AstraZeneca über reduzierte Impfstofflieferungen: Die EU-Kommission hat Reuters-Angaben zufolge den Vertrag veröffentlicht. Das Unternehmen habe einer um vertrauliche Informationen wie finanzielle Details gekürzten Offenlegung zugestimmt, teilt die Brüsseler Behörde Freitagmittag mit. „Der Vertrag gibt den Mitgliedsstaaten das Recht, 300 Millionen Dosen zu erwerben und enthält eine Option auf weitere 100 Millionen Dosen“, wie die Kommission dazu via Twitter mitteilte.
Was für ein Theater! Die Europäische Union und der Pharmakonzern Astrazeneca streiten auf offener Bühne um den Impfstoff gegen Corona. "Ich fordere AstraZeneca auf, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen, umfassende Informationen vorzulegen und seinen vertraglichen, gesellschaftlichen und moralischen Verpflichtungen nachzukommen", appellierte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides dieser Tage an den säumigen Impfstoffproduzenten.
Mehr als 400.000 Menschen sind in den Ländern der EU bereits im Zusammenhang mit Corona gestorben. Diese Zahl nannte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides Mitte des Monats im Europaparlament. Angesichts der neuen ansteckenderen Virusvarianten sei Europa weit davon entfernt, die Pandemie hinter sich zu lassen. Doch seien die Corona-Impfstoffe ein "machtvolles Instrument in unserer Hand", sagte Kyriakides damals.
Doch wie es scheint, hat die Europäische Union zunächst die Jagd auf den Impfstoff verschlafen. Die Gesundheitskommissarin aus Zypern wird dafür verantwortlich gemacht, dass das Impfen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten weit langsamer passiert als etwa in den USA, in Israel oder in Großbritannien. Sie muss sich mittlerweile die täglich gestellte Frage gefallen lassen, warum die Immunisierung der Bevölkerung in der EU so holprig und langsam passiert.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte die zweifache Mutter, die in Großbritannien ihren Abschluss in Klinischer Psychologie gemacht hat, eigentlich für einen anderen Job nach Brüssel geholt. Kyriakides, die selbst zweimal eine Krebserkrankung überlebt und eine europaweit arbeitende Selbsthilfegruppe für Krebskranke aufgebaut hat, sollte das Gesicht der Kommission für den Kampf gegen Krebs werden. Europa sollte führend werden bei der Prävention, bei der Suche nach neuen Therapien, bei der Betreuung der Erkrankten. Doch dann kam Corona.
„Es war wie Science-Fiction", erinnerte sich Kyriakides an die ersten Wochen im Jahr 2020. In ihren kühnsten Träumen, erklärte Kyriakides, habe sie sich so eine Lage wie mit dem Coronavirus nicht vorstellen können, als sie ihren Job im Dezember 2019 antrat. Mit der Pandemie wurde die 64-Jährige plötzlich in die erste Reihe der Politik katapultiert. Wirklich trittsicher scheint sie dort aber nicht zu sein.
Unterdessen will Russland der EU helfen
In der Diskussion um knappen Corona-Impfstoff in der EU will Russland mit seinem Vakzin aushelfen. Im zweiten Quartal könnten 100 Millionen Dosen des Impfstoffes Sputnik V geliefert werden, teilte der staatliche Direktinvestmentfonds am Freitag in Moskau mit, der das Vakzin mitfinanziert und im Ausland vermarktet. Damit könnten 50 Millionen Menschen geimpft werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die Europäische Arzneimittelagentur EMA den Wirkstoff überhaupt zulässt.
Ein entsprechender Antrag war in der vergangenen Woche eingereicht worden. Eine Lieferung an die EU wäre möglich, wenn ein Großteil der Massenimpfung in Russland abgeschlossen ist. Die Impfungen laufen bereits seit Dezember. Nach jüngsten Zahlen haben mehr als 1,5 Millionen Menschen das aus zwei Komponenten bestehende Vakzin erhalten. Sputnik V ist den Angaben zufolge mittlerweile in 15 Ländern registriert. Ungarn hatte vergangene Woche als erstes EU-Land zwei Millionen Dosen des russischen Präparats bestellt.
Der Wirkstoff war Mitte August als weltweit als Erster für eine breite Anwendung in der Bevölkerung freigegeben worden, obwohl bis dahin wichtige Tests ausgestanden hatten. Das löste international Kritik aus. Unabhängige Studien sind bisher nicht bekannt.