Russland und die USA haben sich nach Kremlangaben auf die Verlängerung des atomaren Abrüstungsvertrags New Start verständigt. Entsprechende diplomatische Noten seien am Dienstag ausgetauscht worden, teilte der Kreml am Abend nach einem Telefonat von Präsident Wladimir Putin mit seinem US-Kollegen Joe Biden mit. Zuvor hatten beide Seiten ihre Bereitschaft erklärt, das letzte große atomare Abrüstungsabkommen - kurz vor Auslaufen Anfang Februar - um fünf Jahre zu verlängern. Aus dem Weißen Haus hieß es, Biden und Putin hätten sich bei dem Telefonat verständigt, dass ihre Teams dringend darauf hinarbeiten sollen, die Verlängerung des Abkommens bis zum 5. Februar abzuschließen.
Putin brachte das Vorhaben direkt ins russische Parlament ein, hieß es in Moskau. Der Gesetzentwurf sehe eine Verlängerung des Abkommens bis zum 5. Februar 2026 vor. Der Chef des Auswärtigen Ausschusses der Duma, Leonid Sluzki, sagte, man werde sofort mit dem Ratifizierungsprozess beginnen und sei jeden Moment bereit, mit der Arbeit loszulegen. Die Staatsduma könne sich schon an diesem Mittwoch mit der Verlängerung der nötigen Dokumente befassen, hieß es.
Der New-Start-Vertrag über die Begrenzung von Atomwaffen wäre in wenigen Tagen ausgelaufen. Das am 5. Februar 2011 in Kraft getretene Abkommen begrenzt die Nukleararsenale Russlands und der USA auf je 800 Trägersysteme und 1550 einsatzbereite Atomsprengköpfe. Es war für eine Laufzeit von zehn Jahren geschlossen worden und sah die Möglichkeit einer Verlängerung vor. Im Falle einer Nichtverlängerung hätte es erstmals seit Jahrzehnten kein Abkommen mehr gegeben, das dem Bestand an strategischen Atomwaffen Grenzen setzt. Russland und die USA besitzen zusammen rund 90 Prozent der weltweiten Atomwaffen.
"Sicherheitsgewinn für uns alle"
Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) begrüßte die Einigung, mahnte aber weitere Schritte ein. "Das ist ein wichtiges Signal und ein Sicherheitsgewinn für uns alle", zeigt sich Schallenberg erfreut über die Einigung in letzter Minute.
Neben dem Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrages TPNW am vergangenen Freitag gebe dies Hoffnung auf Fortschritte und mehr Dynamik bei der nuklearen Abrüstung: "Nun bedarf es weiterer Impulse der nuklear bewaffneten Staaten", forderte Schallenberg. "Die Welt befindet sich in einer gefährlichen nuklearen Aufrüstungsspirale, Arsenale werden erweitert und modernisiert. Wir brauchen aber genau das Gegenteil: Mehr Kontrolle und Abrüstung."
Die Regierung von Bidens Vorgänger Donald Trump hatte sich mit Moskau in zähen Verhandlungen nicht auf eine Verlängerung verständigen können. Unmittelbar nach Bidens Vereidigung hatte das russische Außenministerium eine Verlängerung des Vertrags um fünf Jahre ohne Vorbedingungen vorgeschlagen. Kurz darauf wurde bekannt, dass auch Biden bereit für eine solche Verlängerung sei.
Biden hatte vor seinem Amtsantritt erklärt, dass der Vertrag ein "Anker der strategischen Stabilität" zwischen den USA und Russland sei und Grundlage für neue Vereinbarungen zur Rüstungskontrolle sein könne. Das Pentagon betonte vergangene Woche, eine Verlängerung diene der Verteidigung der USA. Man könne es sich nicht leisten, die Instrumente für Inspektionen und Meldepflichten zu verlieren.
Die Trump-Regierung hatte laut US-Medien darauf bestanden, dass das "Einfrieren" der Zahl aller nuklearer Sprengköpfe beider Länder in den Vertrag aufgenommen wird. Die ursprüngliche Fassung legt nur die Begrenzung der Zahl der einsatzbereiten Atomsprengköpfe fest. Zudem hatte die US-Vorgängerregierung ein multilaterales Abkommen mit Beteiligung Chinas angestrebt. Peking weigert sich bisher aber, über sein wachsendes Atomwaffenarsenal zu verhandeln.
Die Gefahr eines auch mit Atomwaffen geführten Krieges galt während der Amtszeit von Trump als deutlich höher als in den vergangen drei Jahrzehnten. Grund war unter anderem das Ende des INF-Vertrags zum Verzicht auf landgestützte atomwaffenfähige Mittelstreckensysteme.
Die USA hatten das Abkommen im Sommer 2019 mit Rückendeckung der Nato-Partner aufgelöst, weil sie davon ausgehen, dass Russland es seit Jahren mit einem Mittelstreckensystem namens 9M729 (Nato-Code: SSC-8) verletzt. Der INF-Vertrag untersagte beiden Seiten Produktion, Tests und Besitz von bodengestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörpern mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern.
Das Telefonat zwischen Biden und Putin war das erste seit dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten. Putin sagte nach Kremlangaben in dem Gespräch, dass eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Russland und den USA den Interessen beider Länder dienen würde - unter Berücksichtigung der besonderen Verantwortung für die Sicherheit und Stabilität in der Welt. Gesprochen hätten beide Seiten auch über den Ausstieg der USA aus dem Abkommen über militärische Beobachtungsflüge (Open Skies) und über das iranische Atomabkommen, das Russland erhalten will. Thema des "geschäftsmäßigen und offenen Gesprächs" sei zudem der Ukraine-Konflikt gewesen, hieß es.
Kritische Töne kamen aus dem Weißen Haus. Die US-Regierungszentrale teilte mit, Biden habe klargemacht, dass die USA die Souveränität der Ukraine unterstützten. Der US-Präsident habe außerdem diverse andere Themen angesprochen: den Giftanschlag auf den Kremlkritiker Alexej Nawalny, die Einflussnahme auf die US-Wahlen, Medienberichte über angebliches russisches Kopfgeld auf US-Soldaten in Afghanistan sowie den großangelegten Hackerangriff auf amerikanische Behörden und Unternehmen, der nach Einschätzung von US-Sicherheitsdiensten auf das Konto Moskaus ging. Alle diese Themen sorgten zuletzt für heftige Spannungen zwischen Washington und Moskau.
Aus dem Weißen Haus hieß es, Biden habe deutlich gemacht, die Vereinigten Staaten würden ihre nationalen Interessen verteidigen und entschlossen auf alle Handlungen Russlands reagieren, die den USA oder seinen Verbündeten schadeten.
Biden sendete zugleich ein Signal an die Nato aus. Er telefonierte am Dienstag mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und bekannte sich zu dem Bündnis und der Zusammenarbeit mit den Bündnispartnern, wie das Weiße Haus im Anschluss mitteilte. Unter Trump war das Verhältnis zwischen den USA und der Nato äußerst angespannt. Trump hatte mehrfach Zweifel daran geweckt, ob die USA im Ernstfall ihrer Verpflichtung zum militärischen Beistand nachkommen würden. Hinzu kamen die nicht abgesprochene Ankündigung eines Rückzugs von US-Truppen aus Deutschland und andere Alleingänge. Zum Entsetzen der Alliierten hatte Trump sogar mit dem Nato-Austritt gedroht.