Als die Wagen der Vereinten Nationen sich öffnen, hebt laute Musik mit rhythmischen Klatschen an. Frauen in bunten Gewändern stehen Spalier und Männer lotsen Außenminister Alexander Schallenberg und sein Tross in ein Festzelt. „Danke Österreich“ steht auf Plakaten an Wänden, die aus Planen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR gebaut worden sind. Die Freude ist ebenso groß wie Hoffnung, dass die Gäste aus Europa Hilfe in den Norden Äthiopiens bringen werden. Denn die Not ist groß in den Lagern wie hier in Aysaite im Bundesstaat Afar unweit der Grenze zu Dschibuti, die vor allem Flüchtlinge aus Eritrea auffangen müssen.
Er sei seit zwölf Jahren in dem Lager, erzählt Ali Hamed, der einen mächtigen hennarot gefärbten Bart trägt. Aussicht auf Rückkehr gibt es nicht, denn Informationen, dass es im Nachbarland besser geworden sei, gibt es nicht. Und Männer wie auch Frauen können praktische lebenslang zum Militär eingezogen werden. Jeder an diesem Tag erzählt eine Geschichte der tödlichen Gewalt aus seiner Familie – und der täglichen Not im Lager. Zuletzt konnte das UNHCR nur noch zehn Kilo Getreide pro Monat ausgeben, weil die Preise wegen der Dürre und Heuschreckenplagen der Vergangenheit so explodiert seien. Aktuell kommt der gewaltsame Konflikt in der Nachbarregion Tigray hinzu. „Wir haben Hunger“, sagt Hamed. Doch die UNHCR habe nicht mehr Mittel, erklärt Paul Turnbull vom Welternährungsprogramm den Flüchtlingen und Gästen. Es müsse rationiert werden. Deshalb appelliert er an die Welt, Geld zu geben und dankte Österreich für die drei Millionen Euro neue Nothilfe.
Die stille Hungerkatastrophe
Der Brite war zuvor in Kenia und wird bald nach Malawi weiterziehen. Derzeit leitet er die Ernährungsverteilung in Äthiopien. Er zeigt den Gästen die Essens- und Geldausgabe, damit sich die Menschen frische Güter kaufen können. Das stärke die lokalen Märkte und ergänze den Ernährungsplan. „Wir sind dabei, auf mobiles Zahlen umzustellen“, sagt Turnball. Das Bezahlen mit dem Handy sei in Ostafrika schon weit verbreitet.
25.000 Menschen leben derzeit im Flüchtlingslager Aysaite unweit der Stadt Semera. Dabei ist es noch eines der besseren, erklärt Chris Melzer vom UNHCR. Der Deutsche gehört zu einer Eingreiftruppe, die binnen 72 Stunden an jedem Ort der Welt sein muss. Als die Krise vor zwei Monaten in Tigray losbracht, kam er her. Die UN betreiben vier Camps in der Krisenregion Tigray, davon zwei im Norden und zwei im Süden mit insgesamt 96.000 Menschen. „Die Lage ist furchtbar“, sagt Melzer. Die Infrastruktur beider Südlager sei zwar nicht zerstört worden, aber mit der Abriegelung der Region durch die Zentralregierung wurde sie auch vom Wasser und Strom abgeschnitten. Die Kinder mussten das Wasser aus dem Fluss trinken und hätten schlimme Durchfallerkrankungen bekommen, berichtet der Helfer, der selbst im Süden Tigrays war. Es gäbe keine Schulen im Betrieb.
Der Norden ist abgeschirmt
„Aus dem Norden haben wir aber keinerlei Informationen“, sagt Melzer. Es habe Meldungen gegeben, dass eines der Lager niedergebrannt worden sei, aber das könne die UN nicht verifizieren. Die Berichte seien aber plausibel. Es wurden auch Satellitenbilder ausgewertet, die auf eine solche Tragik hindeuten. Was mit den insgesamt 33.000 Flüchtlingen passiert sei, wisse man nicht. „Selbst die günstigste Variante wäre noch furchtbar“, hält Melzer fest.
Die humanitäre Lage in Tigray ist nach dem Einsatz der Regierungsarmee gegen abtrünnige Truppen unter Führung der Volksbefreiungsfront in Tigray (TPLF) dramatisch, sagt ein äthiopischer Politikanalyst, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will. Es würden zielgerichtet Frauen, Männer und Kinder ermordet mitten in der Nacht. „Sie werden als fremde Siedler von der jeweiligen angesehen, obwohl sie oft schon zwei oder drei Generationen dort leben“, sagt der Analyst. Mehr als 1000 Menschen seien im Konflikt in Tigray bereits ermordet worden. Viele Informationen gibt es wegen der Kontaktsperre nicht. Auch verhindere die Regierung den Zugang durch Hilfsorganisationen, sagt er und stellt in den Raum: „Die Frage ist, ob das systemisch ist und die Regierung bewusst schweigt.“
Konflikte fast jeden Tag
Äthiopien ist mit seinen mehr als 80 Ethnien ein Vielvölkerstaat mit unzähligen Konflikten. Fast täglich gibt es Berichte über Zwischenfälle zwischen den Gruppen, hinzu kommen die Konflikte in den Nachbarländern. „Die zahlreichen Flüchtlingscamps in Äthiopien zeigen die offenen Wunden und Bruchlinien, die es in Afrika gibt und die Menschen dazu zwingen, ihr Land zu verlassen aufzeigen“, sagt Schallenberg und mahnte die Weltgemeinschaft an, weiter den Blick auf die Region am Horn von Afrika zu richten.
Ingo Hasewend aus Addis Abeba