Vielleicht war es ja so, dass er den Traum von der Präsidentschaft erst einmal loslassen musste, damit er Raum zum Verwirklichen hatte. Zweimal schon hatte sich Joe Biden für die Präsidentschaft beworben, zweimal war er gescheitert. Im dritten Anlauf sollte es endlich klappen.
Heute geht für den 78-Jährigen der Traum in Erfüllung.
Heute wird der Demokrat Joe Biden als 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika angelobt. Er ist der älteste Präsident, den die USA je hatten. Ob er ein weiser alter Mann ist, wird sich erst zeigen. Ein Kämpfer ist er allemal. Kaum ein Politiker in den USA hat im Laufe seines Lebens so viel einstecken müssen wie Joe Biden. Er war der Hiob der amerikanischen Politik. Dafür reichten allein schon die privaten Schicksalsschläge aus.
1972 starben seine erste Ehefrau Neilia Hunter und seine einjährige Tochter Naomi bei einem Autounfall, seine Söhne wurden dabei schwer verletzt. Beau war gerade drei Jahre alt, Hunter erst zwei. Ein Lastwagen hatte das Auto gerammt. Jahrzehnte später, als sein Vater neben Barack Obama als Vizepräsident saß, schilderte Beau Biden in einer bewegenden Rede: „Eine meiner ersten Erinnerungen ist, dass ich im Krankenhaus war und mein Vater stets bei mir war.“ Vater Biden war damals gerade zum US-Senator von Delaware gewählt worden. Seinen Amtseid legte er an den Spitalsbetten seiner Söhne ab. Doch das Schicksal schlug wieder zu und Joe Biden musste Jahre später auch Sohn Beau beerdigen. 2015 starb der 46-Jährige an einem Hirntumor.
1988 war Joe Biden selbst dem Tod nur knapp von der Schaufel gesprungen. Wegen mehrerer Gehirnaneurysmen musste er mehrfach operiert werden. Der Doktor, der ihn operiert hatte, sollte später einmal erklären: „Joe Biden ist der einzige Politiker, von dem ich sicher sein kann, dass er etwas im Kopf hat, weil ich es gesehen habe“, sagte Neurochirurg Neal Kassell dem „Washington Examiner“.
Anwalt der kleinen Leute
„Ein ums andere Mal strafte Joe Biden jene Lügen, die seine Karriere für beendet erklärten“, schreibt Evan Osnos in seiner Biografie „Joe Biden - ein Porträt“. Biden kam mit seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen und seiner jovialen Art bei den Amerikanern immer schon gut an.
Der Jurist und langjährige Senator zeigte sich immer als Anwalt der kleinen Leute. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in der ehemaligen Auto-Hochburg Detroit bekam er viel Applaus für Sätze wie: „Es ist Zeit, Arbeit zu honorieren. Nicht Vermögen.“
Seine ersten Lebensjahre verbrachte Joe Biden in Scranton in Pennsylvania, einer von Kohle und Schwerindustrie geprägten Stadt. Erst später übersiedelte die Familie nach Delaware. Die ständigen Geldsorgen seiner Eltern und sein Stottern bescherten Biden keine leichte Kindheit.
Auf einem Parteitag der Demokraten erklärte Biden selbst einmal: „Fehlschläge im Lauf des Lebens sind unvermeidlich, aber aufzugeben ist unverzeihlich.“ Vor allem ein Satz seines Vaters sei prägend für ihn gewesen: „Mein Sohn, es kommt nicht darauf an, wie oft du k. o. geschlagen wirst, sondern wie schnell du wieder aufstehst.“
Biden ist zum zweiten Mal verheiratet, mit seiner Frau Jill hat er die gemeinsame Tochter Ashley.
Mit dem Leben in Washington, D. C., ist die 69-Jährige vertraut. Selbst in den acht Jahren als „Second Lady“ der USA blieb sie berufstätig und unterrichtete weiterhin an einem Community College in Washington. Die 69-Jährige hat eine Brustkrebsstiftung ins Leben gerufen und schreibt Kinderbücher, die Bestseller sind. Als ihr großes Vorbild nennt sie die ehemalige First Lady Eleanor Roosevelt, von der der Satz stammt: „Es ist besser, eine Kerze anzuzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.“
Viele Jahre als Senator
Als Barack Obama 2009 mit Joe Biden als seinem Vizepräsidenten das Weiße Haus übernahm, brachte dieser jahrzehntelange Erfahrung im US-Senat mit. Als Vizepräsident war Biden stets mehr als nur loyaler Erfüllungsgehilfe. Als Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im Senat konnte Biden bereits internationale Erfahrung sammeln.
Als Präsident muss sich Joseph Biden 2021 einer Herkulesaufgabe stellen und das schwerkranke US-Wirtschafts- und Sozialsystem wieder aufbauen. Insgesamt will er eine Politik zur Stärkung der Mittelschicht schaffen. Mit dem Wahlslogan „Die besten Tage liegen noch vor uns“ ging Biden im Herbst in die heiße Phase des Wahlkampfs. Für Millionen Amerikaner kann es aber auch nur noch besser werden, die Pandemie verbreitet sich dramatisch, die Arbeitslosigkeit ist enorm.
Kurz vor seiner Vereidigung kündigte Biden ein 1,9 Billionen Dollar schweres Corona-Konjunkturpaket an mit Direktzahlungen an Bürger in Höhe von 1000 bis 2000 Dollar pro Kopf. Arbeitslosenhilfen sollen ausgeweitet werden, ebenso wie die Möglichkeiten bezahlter Auszeiten für Arbeitnehmer, die andere pflegen müssen.
Barack Obama behauptet, Politiker werden wegen der Geschichten gewählt, die sie erzählen oder darstellen. Die Amerikaner merkten, dass Trump nur im Gewinnen gut war, Biden aber auch im Verlieren. Der alte weise Mann macht Hoffnung, und die braucht Amerika mehr denn je.