Die Zustandsbeschreibung des Außenministers ist wenig ermutigend: „Wir erleben mit Covid-19, der Heuschreckenplage und Dürre der letzten Jahrzehnte und dem Konflikt in Tigray einen regelrechten Tsunami an Krisen in Äthiopien“, sagt Alexander Schallenberg nach dem ersten Abschnitt seiner zweitägigen Reise in die Hauptstadt Addis Abeba und in die Kriegsregion Tigray. Den aktuellen Konflikt im Norden des Landes sieht er sogar als einen der aktuellen Top-3-Krisenherde in Afrika.
Dass er sich in der aktuellen Corona-Lage persönlich auf den Weg gemacht hat, liegt vor allem daran, dass in einer solch dramatischen Situation eine Videokonferenz eben doch kein direktes vertrautes Gespräch ersetzen könne. Immerhin drängte er in seinem Gespräch mit seinem Amtskollegen und Vizepremier Demeke Mekonnen darauf, dass die internationalen Hilfsorganisationen vollumfänglichen Zugang zum Krisengebiet erhalten müssten.
Drei Millionen Euro Hilfsgelder
Schallenberg reist auch nicht mit leerem Gepäck an. Österreich unterstütze im Sinne seiner humanitären Tradition und angesichts der dramatischen Situation in Tigray die humanitären Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft und die langjährige Tätigkeit österreichischer humanitärer NGOs im Land, betonte der Außenminister in Addis.
Dafür werden drei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds bereitgestellt. Das Vorhaben soll noch im Jänner vom Ministerrat beschlossen werden. Je eine Millionen Euro erhalten das Welternährungsprogramm und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, dessen Lager er am Vormittag auch besuchte und sich die bereitstehenden Hilfskonvois zeigen ließ. Eine weitere Million geht an einen Pool an österreichischen Organisationen in Äthiopien. Dies ist auch ein starkes Argument in den Gesprächen mit der Regierung. Denn Äthiopien ist nicht nur ein Schwerpunktland in der Entwicklungszusammenarbeit, Österreich gehört auch zu den größten Geberländern in dem ostafrikanischen Land.
Berichte über Menschenrechtsverletzungen
„Es gibt beunruhigende Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Tigray“, sagt Schallenberg, darunter seien auch Massaker mit vermutlich internationaler Beteiligung. Laut dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen seien derzeit nach Angaben des Außenminister 20 Millionen Menschen akut auf humanitäre Hilfe angewiesen, 14 Millionen haben dringenden Bedarf an Nahrungsmitteln oder gelten bereits als chronisch unterernährt. „Seit Ausbruch der Krise hat sich die Zahl derer, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind auf 2,3 Millionen Menschen mehr als verdoppelt.“
Dennoch hätten erst zwei Hilfsmissionen in Kooperation von Vereinten Nationen und Zentralregierung zur Ermittlung des Bedarfs stattgefunden, erzählt ein äthiopischer Politikanalyst und schildert die Menschenrechtsverletzungen in weit drastischeren Bildern. So kam es gestern erst zu einem Massaker im westäthiopischen Gebiet Metekel mit bislang gesicherten 80 Toten, möglicherweise sogar 100. Dies sei nur ein neuerlicher Ausbruch einer Welle, die seit Monaten im Norden und Nordwesten anhielte und mehr als 1000 Menschen das Leben gekostet hat. Die Massaker richteten sich gegen Kinder, Frauen und Männer gleichermaßen, sagt der Analyst. Dabei sei die Kontaktaufnahme mitunter äußerst schwierig, weil die Zentralregierung die Kommunikationswege etwa nach Tigray völlig gekappt hätten.
Ingo Hasewend aus Addis Abeba