China wird wirtschaftlich stärker, auch Corona stärkt die Position Pekings. Sind die Chinesen auf dem Sprung an die Spitze?

HANNES ANDROSCH: Ohne Zweifel hat China in den letzten 40 Jahren dank Deng Xiaoping und der wirtschaftlichen Öffnung einen gewaltigen Aufschwung genommen – von zwei Prozent des Weltsozialprodukts auf 16 Prozent. Im Jahr 1800 war der Anteil allerdings noch 30 Prozent. Doch man muss die Lage differenziert sehen. Im Vorjahr hat Peking mit großem Brimborium in der Asien-Pazifik-Region die größte Freihandelszone der Welt geschaffen – aber gleichzeitig einen wichtigen Partner, Australien, mit wilden Sanktionen belegt, weil er eine unabhängige Untersuchung zum Ursprung des Coronavirus in Wuhan forderte. Das Ergebnis ist, dass China nicht einmal die Kohle von den Schiffen aus Australien entlädt, die schon in Shanghai vor Anker liegen – und lieber im eigenen Land Strom-Mangel in Kauf nimmt. Das Seidenstraßenprojekt ist 2018 ziemlich zurückgenommen worden. Die Entwicklung im Technologiebereich ist durch die Sanktionen der USA sehr erschwert worden.

Das klingt schwierig.

Die Beispiele zeigen, dass die Politik und das Handeln Chinas nicht frei von inneren Widersprüchen sind. Peking behindert sich hier auch selbst. Dazu kommt, dass China schon jetzt eine vorzeitig alternde Gesellschaft geworden ist. Und zur Gänze hat auch Peking das Virus nicht besiegt. Längerfristig schaffen die alternde Gesellschaft, der Mangel an Frauen im heiratsfähigen Alter und der wenig entwickelte Sozialstaat große Probleme.

Werden die USA die Nummer eins der Weltbühne bleiben?

Sie haben jedenfalls das Potenzial dazu. Erstens haben die USA keine Sicherheitsbedrohung. Sie sind im Osten und Westen durch Meere geschützt; im Norden und Süden haben sie Grenzen, die nicht bedroht sind. Sie haben eine reiche Landwirtschaft, die meisten Rohstoffe, mittlerweile sogar Überschüsse bei Erdöl und -gas, sie haben eine leistungsfähige Industrie und sind führend in allem, was den digitalen Bereich betrifft. Sie haben mit Abstand die meisten und besten Universitäten, starke Forschungseinrichtungen.

Bleibt noch die Gretchenfrage: Kann ein autokratisches Land wie China ebenso kreativ und erfolgreich sein wie liberale Demokratien? Im Moment scheint es, das könnte China gelingen.

Kurzfristig mag das zutreffen. Längerfristig glaube ich, dass Demokratien in ihrer Vielfalt kreativer sind – weil sie eben nicht die autokratischen Freiheitsbeschränkungen haben. Unter Xi Jinping wurde das System rigider und repressiver. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das in dieser Form ewig erhalten lässt. Wenn man ein Volk unter die Knute nimmt, wird das dem Erfolg nicht guttun und Neuentwicklungen nicht fördern.