Ginge es in der Weltpolitik um Haltungsnoten, hätte Peking in den letzten Tagen gut abgeschnitten. Während im US-Kongress gehörnte Randalierer die Demokratie mit Füßen traten, verstand es Peking, seinen Spott über das Chaos in Washington adrett zu kaschieren: „Wir wünschen dem amerikanischen Volk Frieden und Stabilität“, verlautete aus dem Reich der Mitte an die Adresse des Rivalen.
Auf dem Vormarsch
Gut war die Stimmung in China aber vorher schon: Der Jahreswechsel hatte Peking reich mit guten Nachrichten gesegnet. „China erholt sich schneller und stärker von der Corona-Krise als die USA“, hatten die britischen Experten des „Centre for Economics and Business Research“ (CEBR) verkündet. China werde in der Folge die USA schon 2028 als weltgrößte Volkswirtschaft ablösen – also fünf Jahre früher als bisher erwartet. China lag im vergangenen Jahr mit einem Bruttoinlandsprodukt von 14,4 Billionen Dollar noch deutlich hinter den USA mit 21,4 Billionen Dollar. Das CEBR sagt der Volksrepublik aber für 2021 bis 2025 ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 5,7 Prozent vor-aus, für die Jahre 2026 bis 2030 von 4,5 Prozent. Steht bald das Ende der Pax Americana an?
Im November verkündeten China und 14 asiatische Staaten stolz, die größte Freihandelszone der Welt (RCEP) zu schaffen.Damit schließt sich ein Drittel der Weltbevölkerung zusammen, senkt die Handelszölle und baut bürokratische Hürden ab – eine Demonstration der Stärke unter Federführung Pekings. Mit Europa einigte man sich nach sieben Jahren Verhandlungen auf die Eckpfeiler des neuen Investitionsabkommens. Europäische Unternehmen sollen besseren Marktzugang bekommen. Peking wiederum verbucht einen wichtigen symbolischen Sieg vor dem Hintergrund des laufenden Handelskrieges mit den USA – ausgerechnet während der Machtübergabe in Washington.
Und aus der Feierlaune kommt die Volksrepublik das ganze Jahr nicht mehr heraus: Im Juli 2021 gilt es, den 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas zu begehen: Selbstbewusst und kraftstrotzend präsentiert sich die alte Dame.
An der Spitze steht mit 67 Jahren der vergleichsweise junge Machtpolitiker Xi Jinping. Den Fehdehandschuh hat Xi den Amerikanern schon auf dem 19. Parteitag mit der Verkündung seines „chinesischen Traums“ zugeworfen: „Ins Zentrum der Weltbühne“ solle das Reich der Mitte rücken. Mächtigste Militärmacht, Weltfußballmacht, Anführer im Kampf gegen den Klimawandel solle China werden. Wie einst „der große Steuermann“ Mao Zedong hat Xi alle Macht an sich gerissen: 2018 ließ er die Amtszeitbegrenzung des Präsidenten aufheben und ermöglichte sich seine Regierungsgewalt auf Lebenszeit. Nach innen bedeutete seine Kampfansage die Mahnung an Kritiker, sich hinter ihm und dem Diktat der Partei zu scharen. Durchgesetzt wird dies heute durch eine starke digitale Überwachung der Bevölkerung und die brutale Repression und Umerziehung von Minderheiten wie den Uiguren. Staat und Partei haben ihren Einfluss und die Kontrolle zum Grundprinzip gemacht.
In vielen Bereichen hat Peking eine beachtliche Aufholjagd gestartet. Zwischen 2007 und 2017 konnte China seine Ausgaben für Forschung und Entwicklung um jährlich 17 Prozent steigern. Die USA kamen im selben Zeitraum auf nur 4,3 Prozent. Auch bei der Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen und der Patentanmeldungen ging es steil bergauf.
Freie Hand
Dennoch: Einige halten den Machtanspruch und den Aufschwung Chinas auch für überschätzt. Der Bonner Politologe Gu Xuewu etwa glaubt, Peking strebe zwar eine multi-polare Weltordnung, aber nicht wirklich die globale Führungsrolle für sich an. Es scheint der KP eher darum zu gehen, freie Hand bei der Umsetzung ihrer Ideen und ihres Machterhalts zu haben.
Zugleich birgt das autoritäre Einparteien-System auch Risiken für die Entwicklung – etwa für zu erfolgreiche Unternehmer: Alibaba-Konzern-Gründer Jack Ma ist seit Monaten aus der Öffentlichkeit verschwunden; als Gründe werden seine wachsende Marktmacht angenommen – und die Kritik, die er an chinesischen Banken geäußert hatte. Der geplante – weltgrößte – Börsengang der Alibaba-Tochter Ant Financial wurde abgesagt. Auch der Umgang mit dem Ausbruch des Corona-Virus – lange Zeit wurde vertuscht statt informiert – nährt Zweifel an der Krisenfestigkeit eines Systems, das es gewohnt ist, nur sich selbst Rechenschaft zu schulden. Dass man jetzt erst nach einiger Verzögerung den WHO-Experten die Einreise erlaubt, die den Ursprung der Pandemie untersuchen wollen, passt ins Bild.
Größter Ausbruch
Am Donnerstag vermeldete China nun den größten Corona-Ausbruch seit Monaten, in der Provinz Hebei vor den Toren Pekings. Besiegt ist das Virus noch lange nicht – und das Rennen um die Zukunft offen.