Seit der Erstürmung des US-Kapitols durch gewalttätige Anhänger von US-Präsident Donald Trump steht die Polizei in Washington im Kreuzfeuer der Kritik.
Wie konnten die von Trump angestachelten Randalierer die Sicherheitskräfte am Kapitol überwältigen und in den US-Kongress eindringen? Diese Frage stellt sich auch zwei Tage nach den beispiellosen Szenen in der Hauptstadt der USA, die weltweit Fassungslosigkeit und Empörung ausgelöst haben.
Hochrangige Kongressabgeordnete beider Kammern fordern Ermittlungen. Als Resultat des Sicherheitsdebakels traten am Donnerstagabend (Ortszeit) der Leiter der für den Schutz des Kapitols zuständigen Polizeibehörde, Steven Sund, sowie die obersten Sicherheitsbeamten der beiden Kongresskammern, die sogenannten Sergeants at Arms, zurück.
Zuvor war massive Kritik an der 2.300 Mann starken Kapitol-Polizei laut geworden, die den Trump-Anhängern augenscheinlich wenig entgegenzusetzen hatte. Tränengas wurde erst eingesetzt, als die Eindringlinge bereits im Gebäude waren. US-Medien berichteten sogar von Sicherheitskräften, die Türen für die Randalierer geöffnet hätten.
Wütende Anhänger des abgewählten US-Präsidenten waren am Mittwoch in das Kapitol eingedrungen. Sie zerschlugen Fenster und besetzten Räume. Wegen der Ausschreitungen mussten die Parlamentarier von der Polizei in Sicherheit gebracht werden. Eine Demonstrantin wurde im Kapitol von der Polizei erschossen. Ein verletzter Polizist verstarb an seiner bei der Konfrontation mit den Randalierern erlittenen Verletzung.
Die spezielle Sicherheitsstruktur für die US-Hauptstadt war ein Grund für die desaströse Reaktion der Polizei auf den Angriff. Die Kapitol-Polizei überwacht das Gelände um den Kongress, ein Bundesgebäude. Die größere und besser trainierte Polizeitruppe der Stadt Washington darf hier nur auf Anforderung hin eingesetzt werden.
Nach den Worten von Polizeichef Robert Contee von der Metropolitan Washington Police wurden seine Leute erst um etwa 13.00 Uhr (Ortszeit) angefordert, als der Angriff schon im vollen Gange war. Zu diesem Zeitpunkt sei die Lage schon "ziemlich schlimm" gewesen, sagte Contee.
Die örtliche Nationalgarde war im Vorfeld der Demonstration von tausenden Trump-Anhängern zwar in Bereitschaft versetzt worden. Nach Angaben von Bürgermeisterin Muriel Bowser wurden die Truppen aber nie angefordert. Sie selbst könne die Nationalgarde nicht auf das Gelände des Kapitols entsenden, sagte Bowser.
Der de-facto-Befehlshaber der Nationalgarde in Washington, Armee-Sekretär Ryan McCarthy, führte an, Kapitol-Polizeichef Sund habe bei mehreren Treffen um den Jahreswechsel Hilfsangebote abgewiesen. Eine entsprechende Anfrage sei aber Voraussetzung für jegliche Planung und Koordination im Krisenfall, sagte McCarthy. Die Kapitol-Polizei habe am Sonntag erklärt, "dass sie keine Unterstützung durch das Verteidigungsministerium benötige", sagte der Beauftragte für Sicherheitsfragen im Pentagon, Ken Rapuano.
Polizei und Sicherheitsbeamte versicherten nach den verstörenden Bildern aus dem Kapitol, sie hätten sich auf die Kundgebungen der gewaltbereiten, rechtsradikalen Gruppierung Proud Boys und anderer Milizen, QAnon-Verschwörungsanhängern und anderen eingefleischten Trump-Unterstützern vorbereitet. Mit einer Belagerung des Kongressgebäudes sei aber nicht gerechnet worden, hieß es.
Die Leichtigkeit, mit der die Randalierer in das Herz der US-Demokratie eindringen und das Parlament just am Tag der Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden lahmlegen konnten, sorgt auch hinsichtlich der geplanten Vereidigung des künftigen Präsidenten für große Sicherheitsbedenken. Wurden doch unter anderem auch zwei Rohrbomben am Mittwoch gefunden.
In der US-Hauptstadt gilt noch bis zur Amtsübergabe am 20. Jänner der Ausnahmezustand. Um das Kapitol und umliegende Kongressgebäude soll eine zwei Meter hohe Umzäunung errichtet werden. 6.000 Reservisten wurden als Verstärkung angefordert.
Biden verwies wie Bürgermeisterin Bowser auch darauf, dass die Sicherheitsmaßnahmen durch die Trump-Regierung bei einer Demonstration der "Black Lives Matter"-Bewegung in Washington im vergangenen Jahr deutlich schärfer gewesen seien. Antirassismus-Aktivisten warfen den Behörden "Doppelmoral" vor. Armee-Sekretär McCarthy sagte, die Ministerien des Inneren und des Heimatschutzes hätten, anders als im Sommer, diesmal keine Truppen angefordert. Die Nationalgarde kam am Mittwoch schließlich erst Stunden später zum Einsatz, als das Kapitol schon längst gestürmt war.
Paul Handley/AFP