Nach der Erstürmung des Kapitols in Washington durch Anhänger von US-Präsident Donald Trump werden Rufe laut, den Republikaner noch vor dem eigentlichen Ende seiner Amtszeit am 20. Jänner zum Gehen zu zwingen.
Hochrangige Mitglieder der scheidenden US-Regierung haben laut übereinstimmenden Medienberichten noch am Mittwoch (Ortszeit) über eine mögliche Absetzung von Präsident Donald Trump durch sein eigenes Kabinett beraten. Nach Informationen der US-Sender CNN, CBS und ABC sollen sich diese Überlegungen auf einen Zusatzartikel zur US-Verfassung gestützt haben, der die Entmachtung des Präsidenten durch das Kabinett grundsätzlich erlaubt.
Als Voraussetzung wird in dem "25th Amendment" genannt, dass der Präsident "unfähig" ist, die Pflichten und Vollmachten seines Amtes auszuüben". Kriterien für diese "Unfähigkeit" sind nicht definiert, gemeint sind generell physische oder mentale Beeinträchtigungen. CNN zitierte anonyme republikanische Führungspolitiker mit den Worten, Trump sei "außer Kontrolle".
Der abgewählte Präsident, dessen Ausscheiden aus dem Amt ohnehin für den 20. Jänner vorgesehen ist, hatte am Mittwoch seine zu Tausenden in Washington versammelte Anhängerschaft mit einem Redeauftritt aufgepeitscht. Darin wiederholte er seinen völlig unbelegten Vorwurf des massiven Betrugs bei der Präsidentenwahl am 3. November und rief zum Marsch auf das Kapitol - den Sitz des Kongresses - auf.
Später stürmten Trump-Anhänger das Kapitol und randalierten stundenlang im Gebäude. Trump rief zwar in einer noch während der Randale ausgestrahlten Videobotschaft zu "Frieden" auf. Zugleich sagte er seinen randalierenden Anhängern aber auch: "Wir lieben euch" - und erneuerte seine Wahlbetrugsvorwürfe.
Damit Trump von seinem eigenen Kabinett abgesetzt würde, müsste sein Stellvertreter Mike Pence die Initiative unterstützen. Laut dem Verfassungszusatz muss der Vizepräsident die Kabinettsabstimmung zur Entmachtung des Präsidenten leiten.
Pence war über Trumps vierjährige Amtszeit hinweg dessen treuer Weggefährte, hatte sich aber zuletzt von diesem distanziert. So verurteilte er die Randale im Kapitol und sperrte sich gegen Trumps Forderung, er solle die Zertifizierung des Wahlergebnisses durch den Kongress verhindern. Pence ist kraft seines Amtes zugleich auch Vorsitzender des Senats.
Die Demokraten im Repräsentantenhaus forderten in einem Brief an Pence ebenfalls die vorzeitige Entmachtung Trumps durch die eigenen Regierung. Der abgewählte Präsident habe zum Aufruhr angestachelt und "unsere Demokratie zu untergraben versucht", schrieben die demokratischen Mitglieder des Justizausschusses. Trump sei "mental nicht gesund" und unfähig, das Wahlergebnis "zu verarbeiten und zu akzeptieren".
Experten verweisen auf zwei Möglichkeiten, den US-Präsidenten noch vor dem 20. Jänner aus dem Amt zu befördern:
AMTSENTHEBUNGSVERFAHREN IM KONGRESS (IMPEACHMENT)
Trump musste sich einem solchen Vorgang bereits im Dezember 2019 stellen, als die Demokraten im Repräsentantenhaus ihn formell des Machtmissbrauchs und Behinderung ihrer Ermittlungen in der Ukraine-Affäre anklagten. Allerdings verhinderten die Republikaner mit ihrer Mehrheit im Senat im Februar 2020 die Amtsenthebung. Tatsächlich könnte erneut ein "Impeachment" eingeleitet werden, da nur eine einfache Mehrheit der 435 Stimmen im Repräsentantenhaus notwendig ist. Im Senat müssten dann zwei Drittel der Abgeordneten für die eigentliche Verurteilung stimmen.
Dem Verfassungsexperten Frank Bowman von der University of Missouri zufolge könnte Trump nun der Versuch vorgeworfen werden, die Regierung zu stürzen. Auch eine allgemeinere Anklage wie fehlende Verfassungstreue oder Bruch des Amtseids sei denkbar. Theoretisch könnte das ganze Verfahren dabei innerhalb eines Tages abgeschlossen werden: "Sie könnten bis morgen Mittag eine Anklage gegen ihn beschließen und dann damit durch die Rotunde des Kapitols zum Senat laufen und festlegen, dass das Verfahren morgen Nachmittag beginnt", sagt Bowman.
DER 25. VERFASSUNGSZUSATZ
Diese Möglichkeit wurde 1967 in der Folge der Ermordung von Präsident John F. Kennedy geschaffen. Sie existiert eigentlich für Situationen, in denen der Präsident etwa aus Krankheitsgründen sein Amt nicht mehr ausüben kann. Dies müssen der Vizepräsident und die Mehrheit des Kabinetts formell bezeugen.