"War denn Joe Biden Ihr Favorit bei der Kandidatenwahl der Demokraten?“, wurde der amerikanische Schriftsteller Paul Auster vor der US-Präsidentschaftswahl im vorigen November gefragt. „Nicht einmal die zweite oder dritte Wahl“, erklärte der 73-jährige New Yorker, „aber inzwischen bin ich davon überzeugt, dass er der Richtige ist. Biden weiß durch seine Erfahrung, was für ein wichtiger Moment das gerade für unser Land ist. Ich sehe ihn inzwischen als Galionsfigur einer wesentlich jüngeren, aktiven Regierung, die etwas verändern will. Zumindest ist das meine Hoffnung.“
Am 20. Jänner wird der 78-jährige Joseph Biden als 46. US-Präsident angelobt.
Die Präsidentschaftswahl bedeutet „die Welt für mich und meine Familie“, sagte Biden schon am Beginn seiner Nominierung. Die Demokraten einigten sich schlussendlich auf ihn, weil er weiß, was er tut, er hat Erfahrung und kennt die Politik von der Pike auf. Außerdem kommt Biden auch bei der Arbeiterschaft an, denn der Jurist stellt sich gern als Anwalt der kleinen Leute dar. Bei manchen stillt Biden auch die Sehnsucht nach den Obama-Jahren.
Mehr von der Serie
Guter Herrscher, guter Berater
Schon Anfang des 16. Jahrhunderts stellte der Florentiner Niccolò Machiavelli in seinem Werk „Il Principe“ fest, dass man einen guten Herrscher immer an seinen guten Beratern erkenne. Als Barack Obama 2009 mit Joe Biden als seinem Vizepräsidenten das Weiße Haus übernahm, brachte dieser eine jahrzehntelange Erfahrung im US-Senat mit. Als Vizepräsident war Biden stets mehr als nur der loyale Erfüllungsgehilfe seines Chefs. Als Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im Senat konnte Biden bereits internationale Erfahrung sammeln. „Im Grunde will Obamas einstiger Stellvertreter den Status quo vor Trumps Amtsübernahme wiederherstellen“, analysiert die „Zeit“.´Biden kommt mit seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen und seiner jovialen Art bei den Amerikanern gut an. Die ersten Jahre wuchs er in Scranton in Pennsylvania auf, einer von Kohle und Schwerindustrie geprägten Stadt. Erst später übersiedelte die Familie nach Delaware. Die ständigen Geldsorgen seiner Eltern und sein Stottern bescherten Biden keine leichte Kindheit.
Gebeutelt
Aber als Erwachsener wurde er vom Schicksal regelrecht gebeutelt. Seine erste Frau und eine Tochter starben bei einem Autounfall, seine beiden Söhne wurden dabei schwer verletzt. Seinen Amtseid als Senator legte er an den Spitalsbetten seiner Söhne ab. Es sind genau solche ikonografischen Bilder, wie sie Amerika niemals vergisst.
Biden ist zum zweiten Mal verheiratet, mit seiner Frau Jill hat er die gemeinsame Tochter Ashley. 2015 verstarb Bidens ältester Sohn Beau an einem Hirntumor im Alter von nur 46 Jahren. „Wie bringt man eine gebrochene Familie wieder zusammen?“, fragte Bidens Frau Jill in einer emotionalen Rede auf dem Parteitag der Demokraten und gab selbst die Antwort: „Genauso, wie man eine Nation zusammenbringt: mit Liebe und Verständnis.“ Vier Tage nach der Beerdigung seines Sohnes Beau habe Biden sich „rasiert, seinen Anzug angezogen“ und sei zurück zu seiner Arbeit als Vizepräsident gegangen.
2021 als Präsident muss sich Joseph Biden einer Herkulesaufgabe stellen. Die Polizei ist zu reformieren, das Klima zu retten. Die Hochschulgebühren will er abschaffen, die Steuern für Reiche erhöhen. Das Gesundheitssystem ist auszubauen, die schwer angeschlagene Wirtschaft wieder aufzubauen.
Mittelschicht
Insgesamt will er eine Politik zur Stärkung der Mittelschicht machen. Und dann noch Corona. Mit mehr als einer Viertelmillion Coronatoten hat die Pandemie schon weit mehr amerikanische Opfer gefordert als der Vietnamkrieg. Und die Zahl der Arbeitslosen ist in den Vereinigten Staaten längst über die Millionenmarke gestiegen. Mit dem Wahlslogan „Die besten Tage liegen noch vor uns“ ging Biden im Herbst in die heiße Phase des Wahlkampfs. Für Millionen Amerikaner kann es tatsächlich nur noch besser werden.
Joe Biden und seine künftige Vizepräsidentin Kamala Harris starteten für die Übergangszeit bis zum Tag der Vereidigung die Internetseite „BuildBackBetter.com“. Auf der Webseite werden die Prioritäten der neuen Präsidentschaft aufgelistet, der Kampf gegen das Coronavirus steht an erster Stelle, gefolgt vom Konjunkturschub für die schwer angeschlagene US-Wirtschaft. Sein Team werde „diese Herausforderungen ab dem ersten Tag angehen.“
Joe Biden will Amerikas „Leadership“ in der Welt zurückholen, und er steht für einen guten alten diplomatischen Stil: internationale Zusammenarbeit statt Twitter-Tiraden, politische Verlässlichkeit statt erratisches Handeln. „Amerika ist zurück“, verspricht sein Team.