Die deutschen Christdemokraten feiern ihr Dreikönigsfest heuer erst am 16. Jänner. Weil die Könige in Wirklichkeit nur Kronprinzen sind, statt real nur virtuell auftreten und auch keine selig machenden Geschenke dabeihaben. Die aktuelle Regentin ist parteipolitisch machtlos und die wahre Herrscherin ist schon lange zurückgetreten. Echte Märchen, nun ja, beginnen irgendwie hoffnungsfroher.
Der Prolog zu diesem ersten digitalen Parteitag der CDU begann eigentlich am 7. Dezember 2019. Damals legte Angela Merkel den Bundesvorsitz ihrer Partei nieder. Sie war am Höhepunkt ihrer Unpopularität angekommen. Flüchtlings- und Finanzkrise hatten am Nimbus der Kanzlerin und CDU-Chefin genagt. Über Deutschland lag eine Art Mehltau. So wie einst bei Helmut Kohl, der Förderer der Physikerin aus der Uckermark war und sie – wenig passend – „mein Mädchen“ nannte.
Weil aber Merkel anders als Kohl und Konrad Adenauer – dem ersten deutschen Landzeitkanzler und CDU-Chef – ihren Abgang und ihre Nachfolge selbst bestimmen wollte, setzte sie ihre Vertraute Annegret Kramp-Karrenbauer in eine optimale Startposition. Doch AKK konnte die Basis nicht hinter sich bringen, musste nach einem Jahr im Amt auf dem Parteitag die Vertrauensfrage stellen. Viele sprachen im Dezember 2019 von der atomaren Lösung schon zu Kampfbeginn. Ihre Tage waren gezählt. Nun, wenige Monate vor dem Ende von Merkels Kanzlerschaft und der Bundestagswahl im September, sucht die CDU also einen neuen Parteichef und – so die bayerische Schwesterpartei CSU mitspielt – auch einen Kanzlerkandidaten.
Merkel hat Deutschland verändert
Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen rittern also nicht nur um das Herz ihrer Partei. Sie bewerben sich quasi virtuell und über die Bande auch um die erste Adresse im Berliner Regierungsviertel.
Wer AKK folgen will, muss auch Kanzler können. Dabei gibt es nicht wenige Mädchen, die nach der Jahrtausendwende geboren wurden, von 16 Jahren Merkel geprägt sind und sich nun fragen: Kann ein Mann überhaupt Kanzler werden? Ihnen geht es wie der Generation Golf, die 16 Jahre mit der festen Redewendung „Bundeskanzlerhelmutkohl“ aufwuchs. Merkel hat etwas mit ihnen gemacht. Die 65-Jährige hat ihr Bild von weiblicher Macht, von der Möglichkeit, die Glasdecke zu durchbrechen und die Welt zu gestalten, geformt. Merkel hat Deutschland verändert – und zwar völlig anders als es ihr Kritiker nach Flüchtlings- und Finanzkrise zuschreiben.
Sie hat weibliche Politik erfunden. Das hat sie sich im Wahlkampf 2005 als Kandidatin der Union selbst zum Ziel gesetzt: „Wenn ich eines Tages auf mein politisches Leben zurückblicke, möchte ich da nicht lesen: selber Karriere gemacht, aber für andere Frauen nichts getan.“ Aus „Kohls Mädchen“ ist umgangssprachlich „Mutti Merkel“ geworden. Und dazu die mächtigste Frau der Welt.
Trotz aller Anfeindungen hat sie zuletzt im Streit mit Ungarn und Polen über das EU-Budget sowie im Showdown mit den Briten um ein Post-Brexit-Abkommen gezeigt, wie gut sie in heiklen Situationen Probleme herunterkühlen und lösungsorientiert bearbeiten kann. Sie ist im Krisenjahr 2020 so populär wie nie. Nicht wenige merken an, dass sie schon bald fehlen werde.
Merkel wolle als Vorbild fungieren
Als Feministin hat sich Merkel dabei nie gesehen. Dieses Etikett lässt sie sich nicht anheften. Als sie beim G20-Frauengipfel 2017 in Berlin mit Trump-Tochter Ivanka und Königin Maxima von den Niederlanden danach gefragt wird, antwortete Merkel: „Die Geschichte des Feminismus ist eine, da gibt es Gemeinsamkeiten mit mir und auch Unterschiede. Und ich möchte mich auch nicht mit einem Titel schmücken, den ich gar nicht habe.“ Als „Türöffnerin“ sieht sie sich hingegen schon. Sie wolle als Vorbild fungieren. „Die Tür ging nicht mehr zu. Aber irgendwie steckt der Fuß manchmal noch ganz schön fest drin im Spalt“, sagte Merkel 2018 bei einer Veranstaltung zu „100 Jahren Frauenwahlrecht“.
Männliche Nachfolge
In jedem Fall wird ihr nun ein Mann folgen. Ausgemacht, dass er von der CDU kommt, ist es indes nicht. Nachdem Laschet und Merz eilig vorpreschten, haben beide ihren Anspruch relativiert und CSU-Chef Markus Söder ins Spiel gebracht – so wie es Röttgen schon lange tat. Aus den drei Kronprinzen sind Königsmacher geworden.
Laschet hat kürzlich sogar die Biografie des bayerischen Ministerpräsidenten vorgestellt. „Wenn ein CDU-Vorsitzender ausschließen würde, dass es ein CSU-Vorsitzender wird, gehört das nicht zur Fairness, die wir brauchen“, sagte der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Laschet nannte den Zeitraum nach den Landtagswahlen im März als Zeitpunkt für die K-Frage. Merkels Führungsstil wird aber weiterwirken.
Ingo Hasewend