In Bosnien dauert die Krise um die Unterbringung von Migranten in ein winterfestes Lager an. Am Dienstag hätten rund 700 Migranten vom nicht winterfesten Lager Lipa bei Bihac in eine leere Kaserne gebracht werden sollen, die 40 Kilometer von Sarajewo entfernt ist. Dieser Plan führte zu Protesten der Anwohner in der Umgebung der Kaserne, daher scheiterte der Plan. Weder die 700 Männer noch die Busfahrer wurden in diesen fast zwei Tagen auch nur einigermaßen mit Nahrung und Getränken versorgt. Schließlich wurde die Verlegung aufgegeben und die Migranten mussten wieder in Lipa übernachten, wo einige zusätzliche Zelte aufgestellt wurden, die aber ebenfalls nicht winterfest sind.
Die Krise ist bereits die dritte in Folge, die sich im Winter in Bosnien um Zusammenhang mit der Unterbringung von Migranten abspielt. In Bosnien und Herzegowina befinden sich derzeit 8000 Migranten. 5000 von ihnen, Familien mit Kindern, unbegleitete Minderjährige sowie auch Erwachsene sind in winterfesten Auffanglagern untergebracht, somit geht es um 3000 Personen. 80 Prozent der 8000 Personen sind Männer, die große Mehrheit im Alter von 18 bis 40 Jahren. Die meisten Personen stammen aus Pakistan, Bangladesch, Nordafrika, Afghanistan und dem Irak.
In einem Land mit 3,5 Millionen Einwohnern sollte die Unterbringung von 8000 Personen an sich kein Problem sein, doch es fehlt ein Konsens über die Verteilung. Die Hauptlast tragen nur zwei Regionen, der Kanton Sarajewo und die Region um die Stadt Bihac im Grenzgebiet zu Kroatien. In diesen beiden Regionen befinden sich fünf Lager, während sich acht Kantone und der serbische Teilstaat weigern, Migranten aufzunehmen; dabei kommen 80 Prozent der Migranten aus Griechenland über Serbien und den serbischen Teilstaat nach Bosnien.
Unwille der Behörden
Zum Streit um die Lastenverteilung kommt noch der Unwille der bosnischen Behörden, zeitgerecht zu handeln. Denn seit der Eröffnung des Lagers Lipa im April 2020 war klar, dass dieses nicht winterfest ist. Voraussetzung dafür wäre eine stabile Strom- und Wasserversorgung, um Container aufstellen zu können. Doch die Behörden blieben einmal mehr untätig, und so kam es zur neuerlichen Krise. Dazu sagt der Leiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Bosnien: „Es gibt humanitäre Krisen, bei denen man nicht genug Mittel hat, um allen Menschen zu helfen. Das war in Bosnien niemals der Fall“, sagt Peter Van der Auweraert und führt aus: „Seit Beginn der Krise hat die EU alles finanziert, um sicherzustellen, dass Migranten, solange sie in Bosnien sind, Zugang zur nötigen Hilfe haben.“ Die Krise sei das Ergebnis politischer Konflikte, so der IOM-Leiter. „Die ersten Opfer dieser politischen Blockade sind die Migranten und die lokale Bevölkerung, die mit 1500 bis 3000 Personen konfrontiert ist, die in verlassenen Gebäuden, in der Nachbarschaft oder im Freien übernachten. Derzeit ist ein Konsens nicht in Sicht, obwohl das keine Geldfrage ist“, sagt Van der Auweraert.
Denn ausreichend internationale Geldgeber sind vorhanden. So hat nun auch das österreichische Außenministerium der IOM eine Million Euro zur Verfügung gestellt, um die Migranten zu versorgen. Ihre Lage hat sich vor einigen Wochen in Lipa aus zwei Gründen verschlechtert. Einerseits fiel Schnee und die Temperaturen sanken unter null, andererseits zündeten Migranten vor einigen Wochen Zelte in Lipa an, was die Bedingungen noch menschenunwürdiger werden ließ. Dabei wäre in Bihac ein winterfestes Lager vorhanden. Doch die Stadt weigert sich mit massiver Unterstützung der Bevölkerung dieses Lager Bira wieder zu öffnen.
Ablehnung der Bevölkerung
Die Ablehnung begründet Bürgermeister Suhret Fazlic so: „Die Öffnung von Bira kommt nicht infrage, weil niemand garantieren kann, dass es im Fall der Aufnahme von 1000 Personen bei dieser Zahl bleibt“, sagt Fazlic. „Würden wir die Öffnung zulassen, dann wäre Bira voll nicht mit den Migranten aus Lipa, sondern mit den 1000 Migranten, die sich jetzt in verlassenen Gebäuden in und um Bihac aufhalten. Hinzu kämen dann noch die Personen aus Lipa, und zusätzlich würden aus dem übrigen Bosnien Migranten nach Bira kommen.“
Vor den Toren der ehemaligen Fabrik Bira halten Bewohner aus Bihac Wache. „Drei Jahre kämpfen die Bürger bereits mit der Migrationskrise. Dabei gab es große Schäden durch die Migranten, da geht es um kleinste Straftaten bis zum Mord. Die internationale Gemeinschaft hatte genug Zeit, Lipa herzurichten. Wir werden die Nutzung verhindern, wenn nötig mit Gewalt“, begründet ein Vertreter den Widerstand.
Internationaler Druck
Die Regierung in Bosnien steht unter lokalem und massivem internationalen Druck. Deutschland und die internationalen Organisationen sind für die befristete Nutzung von Bira, bis Lipa winterfest gemacht ist. Das soll vier Monate dauern. Wie das Tauziehen ausgeht, steht noch nicht fest. Bosnien wird seit 2018 als Transitroute über den Balkan genützt; 70.000 Migranten nutzte diese Route. Binnen zwei Jahren zogen durch die 60.000 Einwohner zählende Stadt Bihac etwa 30.000 Migranten. Für die 8000 verbliebenen Migranten spricht die Statistik. Denn die Balkanroute ist keineswegs dicht, und irgendwann wird diesen Personen der illegale Übertritt in die EU gelingen.
unserem Korrespondenten Christian Wehrschütz aus Belgrad