Der Kranke leide offenbar unter Verfolgungswahn. „Man kann auch bestimmte Erscheinungsformen des Größenwahnsinns feststellen. Er vergleicht sich sozusagen mit Jesus Christus“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow über den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny.
Aber dessen Name macht auch in Moskau weiter heftige Schlagzeilen. Ebenfalls am Dienstag verhängte Russland Einreiseverbote gegen mehrere deutsche Regierungsvertreter – im Streit um Nawalnys Vergiftung.
Das russische Außenministerium lud außer der deutschen Geschäftsträgerin auch die Botschafter Frankreichs und Schwedens vor, offenbar um seinen Missmut über die Angaben von Chemielaboren dieser Länder zu äußern, Alexei Nawalny sei mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden. Gleichzeitig antwortete Russland auf die im Oktober erlassenen EU-Sanktionen gegen sechs russische Spitzenbeamte, die mutmaßlich für den Anschlag auf Alexei Nawalnys im August mitverantwortlich sind.
Nawalny selbst untermauerte den Verdacht gegen die russische Staatsmacht noch einmal am Montag. Er veröffentlichte auf YouTube Ausschnitte eines 45-Minuten-Telefonats mit dem mutmaßlichen FSB-Chemiker Konstantin Kudrjawzew, der als einer der Giftstoffattentäter in Tomsk verdächtigt wird.
Anruf
Nawalny erkundigte sich als angeblicher Mitarbeiter des russischen Sicherheitsrates nach seiner Meinung über das gescheiterte Attentat. Der Angerufene war anfangs misstrauisch, gab aber schließlich zu, man habe das Nowitschok im vorderen Innenteil der Unterhose Nawalnys platziert. „Die Leitung hat das beschlossen, das heißt, so war es vermutlich richtig“, heißt es in dem Mitschnitt.
Das Telefonat führte Nawalny vergangenen Montag, wenige Stunden, bevor das Ermittlungsportal „Bellingcat“ und die russische Internetzeitung „The Insider“ sowie mehrere westliche Medien Berichte über die Gruppe von FSB-Agenten veröffentlichten, die den Anschlag auf Nawalny vorbereitet und ausgeführt hatten.
Die Recherchen enthüllten eine Unzahl von Telefonaten, Textbotschaften und Inlandsflügen, welche die mindestens acht auf Nawalny angesetzten FSB-Agenten tätigten.
Sie sollen alle dem „Zentrum für Spezialtechnik des FSB“ unterstehen, ihre Namen, Lebensläufe und Fotos liegen vor. Darunter eben jener Konstantin Kudrjawzew, über den Nawalny jetzt sagt: „Ich habe meinen Mörder angerufen. Er hat alles gestanden.“
Kampfstoff
Mehrere Jahre lang verfolgten die kampfstofferfahrenen FSBler Nawalny auf seinen Inlandsreisen. Laut Nawalny kam es schon im Juli 2020 in der Region Kaliningrad zu einem Giftanschlag, als er mit seiner Frau Julija einen Ostseeurlaub machte. Damals erlitt sie einen heftigen Schwächeanfall.
Mindestens drei Agenten folgten Nawalny auch nach Tomsk, wo er am 20. August vergiftet wurde. Vor und während der Tatzeit hagelte es Anrufe und SMS, aber wieder erwies sich die Kampfstoff-Dosierung als zu gering.
Wladimir Putin bestätigte vergangene Woche, der FSB beschatte Nawalny. „Aber das heißt ja nicht, dass man ihn vergiftet hat - wer braucht ihn denn?“
Das Pressezentrum des FSB bezeichnete Nawalnys Anruf bei Kudrjawzew als Fälschung mit Hilfe westlicher Geheimdienste. Und Kremlsprecher Peskow erklärte, Nawalnys „Fixierung auf den Schrittbereich der Unterhose“ sei freudianisch.
Roman Dobrochotow, der Chefredakteur von „The Insider“, betrachtet die Täterschaft des FSB dagegen als offensichtlich. „Jedes unabhängige Gericht würde anhand all dieser Daten sehr schnell die Bewegungen der Tatverdächtigen rekonstruieren und ihre Alibis widerlegen.“