Österreich stellt 25 Jahre nach dem Ende des Bosnienkriegs die zentralen Führungsfiguren der internationalen Gemeinschaft in Bosnien- Herzegowina, den Hohen Repräsentanten Valentin Inzko, den EU-Sonderbotschafter Johann Sattler sowie den Kommandanten der EUFOR-Friedenstruppe, Reinhard Trischak. Vor allem Inzko ist wegen seines Eintretens für die Stärkung der zentralstaatlichen Strukturen massiven Anfeindungen seitens der bosnischen Serben ausgesetzt, deren Präsident Milorad Dodik den Spitzendiplomaten kürzlich im UNO-Sicherheitsrat als "Monster" bezeichnete. Mit dem Kroatenführer Dragan Covic, der Inzko ebenfalls kritisiert hatte, gab es mittlerweile ein klärendes Gespräch.
Inzko betonte am Wochenende bei einer Gedenkveranstaltung im Zuge der 25-Jahr-Feierlichkeiten, dass der Dayton-Vertrag dem Land den Frieden gebracht habe und in Bosnien-Herzegowina "Platz für alle" sei. "Wenn sich eine Familie nicht streitet, wird ihr kein Haus zu klein", zitierte er ein bosnisches Sprichwort. Sattler sagte, dass sich die Bürger Bosniens "ein Leben ohne Angst, Armut und politische Krisen" wünschten. US-Botschafter Erik Nelson, in dessen Land der Friedensschluss im November 1995 erzielt wurde, sagte, dass Dayton nicht dafür geschaffen wurde, "ewig" zu gelten. "Seine Unzulänglichkeiten können und müssen behoben werden", sagte er. Auch Sattler zeigte sich zuversichtlich, dass die "Anomalien" von Dayton bereits im nächsten Jahr beseitigt werden können.
Ähnlich äußerte sich der frühere US-Präsident Bill Clinton, in dessen Amtszeit der Vertrag geschlossen wurde. Er kritisierte in einer Videobotschaft den "hartnäckigen Nationalismus", der in den vergangenen Jahren den Fortschritt in Bosnien-Herzegowina behindert habe. Den Reformappellen schlossen sich auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Europarats-Generalsekretärin Marija Pejcinovic-Buric an.
Heute jährt sich zum 25. Mal die Unterzeichnung des Dayton-Abkommens, das den Bosnienkrieg beendete. Der Österreicher
Valentin Inzko wacht als Hoher Repräsentant der UNO in Sarajewo über die Friedenssicherung. Im Interview spricht er über die Probleme, die es 25 Jahre nach Kriegsende nach wie vor gibt und er fordert mehr internationales Engagement auf dem Balkan.
Die Massaker im Bosnienkrieg wurden zum Synonym für die schlimmsten Kriegsverbrechen in Europa seit 1945. 100.000 Menschen starben beim brutalsten der Zerfallskriege im früheren Jugoslawien. 2,2 Millionen Menschen wurden vertrieben. Können solche Wunden je heilen?
VALENTIN INZKO: Sehr schwer und nicht von heute auf morgen. Erfreuliche Signale gibt es zwischen Nachbarn und unter Jugendlichen. Es war jedoch einer der größten Fehler der Internationalen Gemeinschaft, nicht das fantastische deutsch-französische Versöhnungsmodell einfach kopiert zu haben; mit Studentenaustausch und gemeinsamen Geschichtsbüchern. So wie es mir als Kärntner leid tut, dass die von der britischen Besatzungmacht tolle obligatorische zweisprachige Schule in Südkaernten, die von 13.000 Schülern besucht wurde, 1958 abgeschafft wurde. Auch das war ein Herzeigemodell.
Das Abkommen von Dayton brachte vor 25 Jahren den Frieden im Bosnienkrieg, brachte es aber auch die Versöhnung?
INZKO: Vor dem Abkommen gab es insgesamt 30 Waffenstillstände, und dann hat Dayton endlich den wirklichen, dauernden Waffenstillstand gebracht, bis heute. Von einer Versöhnung wie zwischen den Deutschen und den Franzosen, oder Deutschen und Polen kann aber bedauerlicherweise noch nicht die Rede sein. Daran muss noch viel intensiver gearbeitet werden.
Wie ist die Stimmung heute im Land?
INZKO: Die Stimmung unter den „einfachen“ Menschen ist nicht so schlecht. Ein Beispiel: Kürzlich wurde in einer mehrheitlich serbischen Gemeinde eine alte Moschee mit Spray beschmiert und schon am nächsten Morgen kamen Serben, um sich mit dem Hodscha zu solidarisieren und halfen, das Geschmiere von der Mosche gemeinsam zu entfernen. Auch eine Primiz kürzlich im Oktober, in der Pfarre Prozor, fand in freundschaftlicher Anwesenheit eines muslimischen Hodschas statt.
Den Krieg hat das Abkommen zwar gestoppt, aber hat es auch die Verwerfungen zwischen muslimischen Bosniaken, Kroaten und Serben geglättet? Oder hat es mit den ethnischen Quotenregeln die Verwerfungen nicht verhärtet?
INZKO: Der Chefverhandler, Richard Holbrook, wollte nach der Niederlage im Vietnamkrieg um jeden Preis einen Erfolg für die USA. Das ist ihm auch gelungen. Der Bosnienkrieg wurde beendet und ein Staat für alle geschaffen. Die völkischen Quotenregelungen waren damals in Dayton der einzig gangbare Weg, der aber heute zu vielen Blockaden führt.
Tritt der zerrissene Vielvölkerstaat auf der Stelle?
INZKO: Mit Hilfe meines Büros wurden ab 1995 gewaltige Fortschritte erzielt. Eine unglaublich stabile Währung wurde geschaffen, es gibt einheitliche Nummerntafeln, eine neue Hymne und Fahne, eine Grenzpolizei, aus drei Fußball-Ligen wurde eine. Und aus drei Armeen, die einander beschossen und getötet haben, wurde eine. Daran habe ich als damaliger österreichischer Botschafter nicht geglaubt. Aber 25 Jahre nach dem Ende des Krieges tritt der Staat auf der Stelle. Wir haben die Zügel zu schnell los- und den Übergang zu lokaler Verantwortung zu abrupt passieren lassen.
Wurde das Abkommen von Dayton für Bosniens Staatslabyrinth letztlich eine Zwangsjacke?
INZKO: Bosnien-Herzegowina wurde am 22. Mai 1992 unter österreichischem Vorsitz im UN Sicherheitsrat neben Slowenien und Kroatien als einheitlicher Staat in die UNO aufgenommen. Die innere, etwas komplizierte Verwaltung, kam erst in Dayton, Ohio, zustande. Mit gutem Willen ginge es auch mit der gegenwärtigen Verfassung. Aber ohne diesen Willen empfinden viele die Dayton-Verfassung als Zwangsjacke.
Wie bewerten Sie die Stimmung der „Generation Dayton“, der jungen Menschen bis 25, 30?
INZKO: Die „Generation Dayton“ ist enttäuscht, auch über meine Rolle. Die Jungen wünschen sich ein härteres Vorgehen gegen korrupte Politiker. Aber ich vermisse eine lebendige Zivilgesellschaft, die für ihre Anliegen kämpft und sich für etwas einsetzt. Ich habe beispielsweise den Serbenrepräsentanten Milorad Dodik so weit gebracht, dass er die in einem Studentenheim von ihm enthüllte Gedenktafel für den Kriegsverbrecher Radovan Karadzic wieder entfernt hat. Unterstützt von den jungen Leuten, die auch dagegen waren, wurde ich dabei nicht.
Dodik nannte sie unlängst bei einer UNO-Sitzung ein „Monster“. Was haben Sie getan?
INZKO: Ich bekam von seiner Jugendorganisation sogar schriftliche Morddrohungen. Und er nennt mich kriminell. Dodik will erstens ein Bosnien ohne Inzko, zweitens richten sich seine Angriffe gegen die drei europäischen Richter im bosnisch-herzegowinischen Verfassungsgerichtshof. Aber sowohl das Amt des Hohen Repräsentanten, als auch die Anwesenheit der europäischen Richter im Verfassungsgerichtshof sind im Dayton-Vertrag verankert. Und den hat auch Slobodan Milosevic unterschrieben. Aber es ist klar: Ich und die internationalen Richter hindern Dodik an der Durchführung seiner destruktiven Pläne.
Was erhoffen Sie sich vom künftigen US-Präsidenten Joe Biden, der den Balkan gut kennt?
INZKO: Ich propagiere ein dreifaches BBB: Biden, Brüssel, Berlin. Ich habe ganz starke Signale aus dem Bundestag in Berlin bekommen, dass sich Angela Merkel zusammen mit Joseph Biden verstärkt um den Balkan kümmern will. Ich habe Biden in Sarajewo zweimal getroffen. Es braucht eine robuste internationalen Präsenz und Rezepte wie von einem guten Arzt, der bei schweren Fällen nicht Aspirin, sondern Antibiotikum verschreibt. Sonst laufen uns alle jungen talentierten Leute davon, die zu Hause keine Jobs bekommen, aber in Österreich Minister werden. Nach dem Terroranschlag in Wien muss uns noch klarer sein, dass die Sicherheit Österreichs und Europas in unserer Nachbarschaft beginnt, auch auf dem Balkan. Es ist nicht egal, was dort passiert.
Wie hart ist Bosnien von der Corona-Pandemie getroffen? Schweißt die Pandemie die Menschen zusammen, oder treibt sie einen weiteren Keil hinein?
INZKO: Die Pandemie schweißt die Menschen zusammen, auch die Virologen und die Infektiologen, nicht aber die Politiker. Es gibt noch immer getrennte Statistiken und unterschiedliche Sperrstunden. Gott sei es jedoch gedankt, dass die Pandemie unter Kontrolle ist.