Der Weg für den EU-Haushalt und die milliardenschweren Corona-Hilfen ist frei. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich am Donnerstag bei ihrem Gipfel in Brüssel auf einen Kompromiss zum neuen Rechtsstaatsmechanismus, den die deutsche Ratspräsidentschaft ausgehandelt hatte. Dies teilte EU-Ratschef Charles Michel am Abend auf Twitter mit. Zuvor hatten Ungarn und Polen wichtige Entscheidungen wochenlang blockiert.
Ein Sprecher Michels ergänzte, auch der umstrittene Mechanismus zur Kürzung von EU-Geldern bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit sei angenommen worden. Es habe keine Änderungen an dem Entwurf für den Gipfel mehr gegeben.
"Jetzt können wir mit der Implementierung beginnen und unsere Volkswirtschaften wieder aufbauen", erklärte Michel. Europas "richtungsweisendes Konjunkturpaket" werde "unseren grünen und digitalen Übergang vorantreiben", schrieb Michel.
Kompromiss zu Rechtstaatlichkeit angenommen
Polen und Ungarn Länder fürchten, dass der Mechanismus darauf zielt, ihnen wegen umstrittener politischer Projekte EU-Mittel kürzen zu können. Der Kompromiss sieht nun vor, dass das neue Verfahren zur Ahndung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit durch eine Zusatzerklärung ergänzt wird.
Darin ist unter anderem festgelegt, welche Möglichkeiten Ungarn und Polen haben, sich gegen die Anwendung der Regelung zu wehren. Eine davon ist eine Überprüfung der Verordnung für das Verfahren durch den Europäischen Gerichtshof. Es wird präzisiert, dass die Verknüpfung von Auszahlungen mit Rechtsstaatsprinzipien erst kommen wird, wenn der Europäische Gerichtshof über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden hat. Dies wird für 2022 erwartet.
Außerdem wird konkretisiert, dass die Klausel nur die Prüfung der Rechtstaatlichkeit bei der Nutzung von EU-Geld vorsieht. Für andere Streitigkeiten etwa über die Justizpolitik eines Mitglieds gibt es weiter das sogenannte Artikel-7-Verfahren, das die EU-Kommission bei vermuteten Verstößen gegen Grundprinzipien der Europäischen Union einleiten kann.
Außerdem wird noch einmal festgeschrieben, dass die Feststellung eines Rechtsstaatsverstoßes allein nicht ausreicht, um EU-Finanzhilfen zu kürzen. Demnach muss klar festgestellt werden, dass der Verstoß negative Auswirkungen auf die Verwendung von EU-Geld hat. Zudem soll noch einmal festgehalten werden, dass sich in Streitfragen die Staats- und Regierungschefs mit dem Thema beschäftigen müssen.
750 Milliarden Euro als Corona-Konjunkturhilfen
Hätte es keine Einigung gegeben, hätte der EU von Jänner an nur noch ein Nothaushalt zur Verfügung gestanden. Zahlreiche Programme hätten nicht starten können. Zudem hätte dann ein Weg gefunden werden müssen, um das Corona-Konjunkturprogramm im Umfang von bis zu 750 Milliarden Euro ohne Polen und Ungarn zu organisieren. Auf die Hilfen sind vor allem Länder angewiesen, die wirtschaftlich stark unter der Corona-Krise leiden und gleichzeitig ein Schuldenproblem haben - zum Beispiel Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Belgien.
Auf den neuen Mechanismus hatten sich die EU-Staaten Ende Oktober gegen den Willen von Ungarn und Polen verständigt. Die Regierungen in Budapest und Warschau legten daraufhin ein Veto gegen einstimmig zu treffende Haushaltsentscheidungen ein, um Änderungen zu erzwingen. Sie fürchten, dass das neue Verfahren vor allem gegen sie eingesetzt werden soll. Ihnen wird seit langem vorgeworfen, ihren Einfluss auf die Justiz in unzulässiger Weise auszubauen. Außerdem werden Einschränkungen der Medienfreiheit und zu wenig Schutz von Minderheiten bemängelt.
Die noch ausstehenden Entscheidungen für die EU-Finanzen der kommenden Jahre und die Corona-Hilfen sollen in den kommenden Tagen vom EU-Ministerrat und vom EU-Parlament getroffen werden. Probleme werden dort allerdings nicht mehr erwartet, da in allen wichtigen Fragen bereits in den vergangenen Wochen Einverständnis erzielt wurde.
"Wichtiger Sieg für die Rechtsstaatlichkeit"
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte vor dem Gipfel die Erwartung geäußert, dass es zu einer Einigung kommt und die deutsche Ratspräsidentschaft gegenüber Ungarn und Polen "hart bleibt und keine faulen Kompromisse" eingeht.
Die ÖVP-Delegationsleiterin Angelika Winzig wertet die Einigung als "wichtigen Sieg für die Rechtsstaatlichkeit und die EU", während sich andere Abgeordnete zuvor kritisch zu dem Kompromiss äußerten.