Nach fast fünf Monaten Protesten in Belarus gegen Machthaber Alexander Lukaschenko hat Anführerin Swetlana Tichanowskaja aus ihrem Exil den Mut der Menschen gelobt. Trotz Festnahmen und Polizeigewalt sei der Protest für viele inzwischen Teil des Alltags geworden, sagte die 38-Jährige zu neuen Kundgebungen am Sonntag in der Hauptstadt Minsk und anderen Städten. Mehr als 300 Menschen seien festgenommen worden etwa wegen Verstoßes gegen das Versammlungsverbot.
Viele Menschen versammelten sich trotz Demonstrationsverbots in ihren Wohnvierteln und bildeten dann Demonstrationszüge, wie auf verschiedenen Kanälen des Nachrichtendienstes Telegram zu sehen war. Erneut gingen Uniformierte in Sturmhauben gewaltsam gegen friedliche Lukaschenko-Gegner vor. Das Menschenrechtszentrum Wesna listete am frühen Abend die Namen von mehr als 200 Festgenommenen auf.
Die Menschen forderten wie bei vorherigen Sonntagsdemonstrationen den Rücktritt des seit mehr als einem Vierteljahrhundert regierenden Präsidenten. Viele trugen weiß-rot-weiße Fahnen der Opposition. Tichanowskaja, die nach der Präsidentenwahl am 9. August auf Druck Lukaschenkos ins benachbarte EU-Land Litauen ausgereist war, meinte, dass viel erreicht sei.
Es gebe EU-Sanktionen, und Lukaschenko werde vom Westen nicht mehr als Präsident anerkannt. Politisch Verfolgte könnten auf Hilfsprogramme der Demokratiebewegung zurückgreifen. Vor allem aber würden die Menschen gemeinsam für ihre Rechte einstehen und sich den Repressionen nicht mehr beugen. "Wir haben gelernt, stolz darauf zu sein, dass wir Belarussen sind", sagte sie. Jeder Sonntagsmarsch sei eine neue Mahnung, nicht aufzugeben.
Der 66-jährige Lukaschenko gilt als "letzter Diktator Europas". Er hatte sich nach der von Manipulationsvorwürfen überschatteten Wahl mit 80,1 Prozent zum Sieger erklären lassen. Die Demokratiebewegung sieht Tichanowskaja Gewinnerin. Sie erklärte sich bereit, das Land übergangsweise nach einem Rücktritt Lukaschenkos zu führen. Die Bewegung fordert auch ein Ende der Polizeigewalt und die Freilassung aller politischen Gefangenen. Bei den Protesten gab es mehrere Tote, Hunderte Verletzte und rund 30.000 Festnahmen.