Vor gut einer Woche hatten die Guatemalteken die Nase voll. Tausende Menschen gingen in der Hauptstadt Guatemala-Stadt und auch in anderen Städten auf die Straßen und protestierten gegen die Regierenden in dem mittelamerikanischen Land. Vor allem aber gegen den Staatshaushalt, der im Eilverfahren durch das Parlament gepeitscht wurde. Am Ende brannte das Kongressgebäude, der Haushaltsplan wurde zurückgezogen.
Doch die Proteste halten an. „Die Guatemalteken haben die ständige Korruption satt“, erzählt Mayra Orellana, die mit ihrer Hilfsorganisation den Familien fernab der Hauptstadt im Kampf ums Überleben hilft. Männer und Frauen jeden Alters seien unter den Demonstranten, die auf friedliche Art „ihr Unbehagen darüber ausdrücken wollen, was mit dem Großteil ihrer Steuern passiert“. Im Staatshaushalt findet sich davon jedenfalls wenig. Obwohl 48 Prozent der Kinder unter fünf Jahren chronisch unterernährt sind, wurden die Mittel dafür gekürzt. Obwohl Corona das Land lähmt, wurde der erhöhte Mittelbedarf für das schwache Gesundheitssystem nicht berücksichtigt. Obwohl das Tropentief „Eta“ Anfang November ganze Landstriche unter Wasser gesetzt und Dörfer verwüstet hat, wurde der Wiederaufbau nicht im Staatshaushalt nachgebessert.
Frust der Bevölkerung
Der Frust darüber sitzt tief: „Wofür sind die 15 Millionen Euro verwendet worden, die die Regierung vom Ausland zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie erhalten hat?“, fragt ein Demonstrant. Er will anonym bleiben. In Guatemala ist Kritik durchaus gefährlich. Er berichtet von Festnahmen, Gewalt und Einschüchterungen. Präsident Alejandro Giammattei warf den Demonstranten öffentlich sogar vor, einen Staatsstreich forcieren zu wollen. Dabei gingen am Wochenende selbst Ärzte aus den öffentlichen Krankenhäusern mit auf die Straße, weil sie seit vier Monaten nach eigenen Angaben keinen Lohn erhalten haben.
Vor allem die ländlichen Regionen leiden in der Coronakrise. Dabei müssen sie seit Jahren mit zurückgehender Unterstützung leben. In Guatemala gingen in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Männer aus dem ländlichen Raum illegal in die USA, um für einige Jahre auf Farmen Geld für ihre Familie zu verdienen und dann wieder zurückzukehren. Donald Trumps rigoroser Kampf gegen diese – auch auf US-Seite von Farmern erwünschte – illegale Arbeitseinwanderung hatte zur Folge, dass weniger Geld floss. Guatemala lebt massiv von den Überweisungen. Deshalb hoffen viele Guatemalteken auf Joe Biden.
Probleme im ländlichen Raum
Corona hat den ländlichen Raum zusätzlich geschwächt und nun kam auch noch „Eta“. „Es ist besorgniserregend, dass in einem Land wie unserem ein Unglück das nächste jagt“, erzählt Orellana. 1500 Menschen sind nach der Flut noch immer von der Versorgung abgeschnitten. 300 Menschen dürften nach ersten Schätzungen gestorben sein, wenn man die Zahl der noch immer Vermissten zur Grundlage nimmt. In den 30 Stunden fiel so viel Regen wie sonst in anderthalb Monaten. Betroffen sind auch viele Felder aus den Hilfsprogrammen. „Immer sind es die ärmsten Familien, die am stärksten betroffen sind“, sagt sie. Eigentlich sollte Orellana am 27. November in Linz für ihren Einsatz mit einem Preis geehrt werden. Aber selbst das machte das Virus zunichte.
Obwohl Guatemala unter der Pandemie leidet, ist das Bewusstsein für das Virus nicht hoch. Die Schulen sind zwar geschlossen, es gibt eine Empfehlung für Homeoffice und Einschränkungen im öffentlichen Sektor sowie beim Verkauf von Alkohol, aber Hygieneregeln werden kaum eingehalten. Mediziner warnen vor einer zweiten Welle, aber die Politik ignoriert das im Einvernehmen mit den Wirtschaftstreibenden.
Orellana beschreibt die Einstellung ihrer Landsleute: „Wenn es jemand erwischt, dann ist das eben so. Irgendwann müssen wir sowieso alle sterben.“ In Guatemala, das wegen seiner Mordrate als gefährlichstes Land abseits aller Krisengebiete gilt, klingt das fast normal.
Ingo Hasewend